Taucher durchkämmen Kabine um Kabine. Angehörige der vermissten Insassen hoffen noch immer, dass Überlebende in dem Wrack gefunden werden. Die Zahl der Todesopfer ist auf 120 gestiegen.

Jindo/Seoul. Nach dem Untergang der südkoreanischen Fähre „Sewol“ ist die Zahl der bislang geborgenen Todesopfer auf mehr als 120 gestiegen. Bis zum frühen Dienstagnachmittag wurden 108 Leichen aus dem vor sechs Tagen gesunkenen Schiff oder aus dem Wasser um das Wrack geborgen, berichteten südkoreanische Fernsehsender. Noch immer galten rund 200 der ursprünglich 476 Insassen als vermisst. Bei den Tauchgängen wurden im Wrack bisher keine Überlebenden aufgespürt.

Trotz schlechter Sicht unter Wasser durchsuchten Hunderte Taucher am Dienstag weiter Kabine um Kabine des mehrstöckigen Schiffs. Es wird vermutet, dass dort die meisten Insassen bei dem Unglück – darunter viele Schüler – eingeschlossen wurden. Bei der Suche wurden auch Tauchroboter eingesetzt.

Um die gesunkene Fähre lagen Trawler mit Fangnetzen im Meer, um zu verhindern, dass eventuell Leichen aus dem Schiff von der Strömung mitgerissen werden. Insgesamt seien fast 240 Boote und Schiffe an der Bergungsaktion beteiligt, berichtete der Rundfunksender KBS. Das Wrack liege bis zu 20 Meter unter Wasser.

Am Hafen von Jeju versammelten sich am Dienstag wieder Angehörige, um die immer häufiger eintreffenden Boote zu erwarten, die Leichen von der Unglücksstelle an Land brachten. „Ich möchte nur meinen Sohn zurück“, sagte der Vater eines vermissten Schülers. „Ich möchte ihn in meinen Armen halten und mich verabschieden. Ihn an diesem dunklen, kalten Ort zu wissen, halte ich nicht aus“, sagte der verzweifelte Vater.

Angehörige der vermissten Insassen hofften noch immer, dass Überlebende gefunden werden. Bei einer Pressekonferenz am Montag hatten sie gefordert, dass die Suche nach den Vermissten bis zum Donnerstag abgeschlossen werden sollte. Etwa 250 der mehr als 300 Todesopfer und Vermissten waren Schüler aus der Nähe von Seoul. Sie befanden sich auf einem Ausflug auf die südliche Urlaubsinsel Cheju.

174 Menschen konnten gerettet werden

Die Auto- und Personenfähre war am vergangenen Mittwoch vor der Südwestküste Südkoreas gekentert und gesunken. 174 Menschen an Bord konnten gerettet werden, darunter der Kapitän und die meisten der anderen 28 Besatzungsmitglieder. Die Unglücksursache ist bislang noch offen.

Nach Angaben der Ermittler ereignete sich der Unfall an der Stelle, wo die Fähre eine Richtungsänderung vorgenommen hatte. Untersucht wird auch, ob die Ladung eventuell verrutscht sein könnte, so dass das Schiff in Schieflage geriet. Nach der Übernahme der 20 Jahre alten Fähre hatte der südkoreanische Betreiber bei Umbauten die Aufnahmekapazitäten des Schiffs erweitert.

Weiteres Crewmitglied festgenommen

Im Zuge der Ermittlungen zum Untergang der „Sewol“ ist ein weiteres Besatzungsmitglied festgenommen worden. Dabei handele es sich um einen Offizier, der am Montag einen Selbstmordversuch überlebt habe, berichtete am Dienstag die nationale Nachrichtenagentur Yonhap. Der Kapitän und weitere sechs Crewmitglieder sitzen bereits wegen Fahrlässigkeit und anderer Vorwürfe in Untersuchungshaft.

Die Ermittler untersuchen unter anderem, warum die Besatzung keine Evakuierungsdurchsage unmittelbar nach dem Unfall gemacht hatte. Den leitenden Crewmitgliedern der am Mittwoch vor der Südwestküste Südkoreas gesunkenen Fähre wird vorgeworfen, das havarierte Schiff mit den Passagieren im Stich gelassen zu haben.

Es ist die größte Schiffskatastrophe in Südkorea seit mehr als 20 Jahren. Der Untergang einer überladenen Fähre vor der Westküste im Oktober 1993 hatte 292 Menschenleben gefordert.

Etliche Fehler haben „Sewol“-Unglück wohl verschärft

Wahrscheinlich hätten wesentlich mehr Menschen die Havarie der südkoreanischen Fähre „Sewol“ überlebt, wenn die Verantwortlichen vor dem Untergang entschlossener gewesen wären. Was alles zur Katastrophe beigetragen haben könnte:

- Die „Sewol“ gerät am Mittwoch vergangener Woche genau zu dem Zeitpunkt in eine bedrohliche Schräglage, als die Auto- und Personenfähre eine scharfe Wende vornimmt. Untersucht wird unter anderem, ob die Ladung verrutscht sein könnte, so dass das Schiff ins Kippen geriet.

- Anfänglich wurde auch spekuliert, dass die Fähre einen Felsen unter Wasser gerammt haben könnte. Das wird mittlerweile so gut wie ausgeschlossen.

- Der südkoreanische Reeder Chonghaejin Marine hatte das Schiff umgebaut, um die Aufnahmekapazität zu erhöhen. Solche Umbauten gelten allerdings als nicht unüblich.

- Der Crew unter Leitung von Kapitän Lee Jung Seok wird vorgeworfen, die Evakuierung des Schiffs verzögert zu haben. Den Passagieren wurde anfangs gesagt, sie sollten sich nicht rühren. Lee und andere Besatzungsmitglieder sollen dann aber unter den Ersten gewesen sein, die sich selbst in Sicherheit brachten.

- Der letzte Funkspruch zwischen der Besatzung und der Kontrollstelle an Land zeigt, wie unentschlossen nach der Havarie reagiert wurde. „Wir kennen die Situation nicht gut genug, also sollte der Kapitän die endgültige Entscheidung über die Rettung der Passagiere treffen“, empfahl die Überwachungsstelle auf der Insel Chindo.