Jagd nach dem verschollenen „Nécessaire“. Die Fabergé-Preziose der russischen Zarenfamilie soll sich in England befinden, sagt ein Hofjuwelier.

London. Ostereiersuche vom Allerfeinsten: Gefahndet wird nach dem „Nécessaire“, einem der berühmten Fabergé-Ostereier der russischen Zarenfamilie. Ein zwei Jahre älteres Ei derselben Herkunft wurde im März für angeblich rund 24 Millionen Euro verkauft.

Zwischen 1885 und dem Sturz der Romanows 1917 fertigte Peter Carl Fabergé, Hofgoldschmied des Zarenhofs, im Auftrag von Alexander III. und dessem Nachfolger Nikolaus II. 52 schatzgefüllte, edelsteinbesetzte Preziosen in Eiform als Ostergeschenk für ihre Gemahlinnen, die Dänin Maria Fjodorowna und die als Prinzessin Alix von Hessen-Darmstadt geborene Alexandra Fjodorowna an. Knapp die Hälfte der kaiserlichen Fabergé-Eier befindet sich heute in Museen, zwei davon im Baden-Badener Fabergé-Museum. Der überwiegende Rest ist in Privatbesitz; der russische Oligarch Wiktor Wekselberg nennt neun Exemplare sein Eigen, die Queen drei, Fürst Albert von Monaco und der Emir von Katar je ein Stück. Weitere sieben sind verschollen, darunter das „Nécessaire“. Doch während der Londoner Fabergé-Experte Kieran McCarthy einräumt, dass fünf oder sechs der von den Bolschewisten konfiszierten „Kaiserlichen“ vermutlich nach der Oktoberrevolution eingeschmolzen wurden, ist er überzeugt, dass das „Nécessaire“-Ei noch existiert. „Ich weiß es felsenfest“, sagt McCarthy, Mitglied der Geschäftsführung des 150 Jahre alten britischen Hofjuweliers Wartski. „Und ich bin mir sogar sicher, dass es in England ist.“

Der gebürtige Ire geriet vor einem Monat weltweit in die Schlagzeilen, als er ein anderes „verschollenes“ Fabergé-Ei, das „Dritte Kaiserliche“, identifizierte und den Finder, einen schlichten amerikanischen Schrotthändler, zum Multimillionär machte. Seine Gewissheit gründet darauf, dass auch das „Nécessaire“ einmal bei Wartski über den Ladentisch gegangen ist: 1952 kam ein Herr in das Geschäft nahe der Bond Street, um die Ostergabe zu inspizieren, die Alexander III. seiner Gattin am 9. April 1889 überreicht hatte. Er öffnete die goldene, mit „vielfarbenen Steinen und Brillanten, Rubinen, Smaragden und Saphiren“ verzierte Eierschale und fand im Inneren ein 13-teiliges Nagelpflege- und Frisieretui in Miniatur. Bei 1250 Pfund – 1506 Euro nach heutiger Umrechnung und rund 15.000 D-Mark nach damaligem Kurs – wurde man handelseinig. Der Besucher zahlte bar und wurde im Kundenverzeichnis eingetragen als „A Stranger“ (Ein Fremder). „Weshalb er mit Bargeld bezahlte und seinen Namen nicht nennen wollte, wissen wir nicht. Vielleicht war es ein Geschenk für seine Geliebte“, spekuliert McCarthy. „In den 50er-Jahren bestand unsere Kundschaft größtenteils aus Engländern. Darum bin ich sicher, das Ei befindet sich noch im Land. Ich habe schon daran gedacht, die Telefonbücher durchzugehen und jeden A. Stranger anzurufen. Es ist wie eine irre Schnitzeljagd.“ Glaubt er, dass das „Nécessaire“ irgendwann wieder auftauchen wird? „Es heißt ja, der Blitz schlägt nicht zweimal ein. Ich kann nur hoffen, er tut es doch.“

Das erste Mal schlug der Blitz vor zwei Jahren ein. Damals tippte der ungenannte Kleinstadtschrotthändler aus Amerikas Mittlerem Westen, immer noch verärgert, weil ihm niemand das für 13.300 Dollar (9500 Euro) auf einem Antiquitätenmarkt erstandene Goldei mit eingebauter Samenuhr gewinnbringend abkaufen wollte, das Wort „Egg“ (Ei) und „Vacheron Constantin“, den Herstellernamen der Uhr, in die Internet-Suchmaschine Google. Dabei stieß er auf einen bebilderten Artikel über das angeblich verschollene „Dritte Kaiserliche“ im „Daily Telegraph“ vom August 2011, der den Fabergé-Spezialisten McCarthy zitierte: „Da sitzt womöglich jemand ahnungslos auf einem kaiserlichen Relikt, das 20 Millionen Pfund wert sein könnte.“

Vier schlaflose Nächte später jettete der Amerikaner mit Fotos seines Kleinods nach London, der erste Europaflug seines Lebens. Beim Gegenbesuch am Küchentisch „in dem bescheidenen Häuschen des Mannes und seiner Partnerin direkt an einer Autobahn und neben einem Dunkin’ Donuts“ bestätigte McCarthy die Echtheit des Fundes. „Der Mann fiel buchstäblich vom Stuhl. Dann ritzte er meinen Namen und das Datum in den Barhocker, auf dem ich gesessen hatte.“ Wenig später vermittelte McCarthy den Verkauf an einen Privatsammler. „Aus welchem Land er stammt, darf ich nicht verraten. Aber er ist einer dieser internationalen Menschen, die so reich sind, dass sie praktisch staatenlos sind. Er ist Learjet-Bürger.“ Bis Gründonnerstag ließ der neue Eigentümer das kostbare Stück bei Wartski ausstellen. Seitdem, sinniert McCarthy, ist es wieder unter Verschluss, „vielleicht für ein weiteres Jahrhundert“.

Umso dringlicher sei es, das „Nécessaire“ aufzuspüren.