Sohn vermögender Eltern verursacht betrunken Unfall mit vier Toten und erhält Bewährung. Mildes Urteil spaltet Texas

Dallas. Kann ein Sohn reicher Eltern so verzogen sein, dass er zwischen Gut und Böse, Richtig oder Falsch nicht mehr unterscheiden kann? Und so extrem, dass er als 16-Jähriger nach einem von ihm verursachten Autounfall mit vier Toten und neun Verletzten von einem Gericht aufgrund seiner Wohlstandsverwahrlosung nicht ins Gefängnis geschickt, sondern nur zu zehn Jahren Bewährung verurteilt wird?

Eine Richterin in Texas hat diese Fragen jetzt in einem aufsehenerregenden Urteil mit einem klaren Ja beantwortet. Jean Boyd hatte dabei nicht Ethan Couch (Name geändert), sondern dessen vermögende Eltern indirekt für den Unfall verantwortlich gemacht. „Sie haben ihn verzogen und ihm nie erklärt, dass seine Taten Folgen haben könnten“, sagt Boyd, die neben einer Bewährungsstrafe von zehn Jahren für Couch auch eine Therapie „fernab seiner Eltern anordnete“.

Die Angehörigen der Opfer dagegen sind über das milde Urteil entsetzt. Die Staatsanwaltschaft hatte für den Jugendlichen 20 Jahre Haft gefordert. Da die Gerichte in Texas für ihre oft drakonischen Strafen selbst für kleine Delikte bekannt sind, gilt das Urteil als Überraschung. Die Eltern von Couch, die in Scheidung leben, haben sich zu dem Urteilsspruch bisher nicht geäußert.

„Sein Leben lang ihn hat das Geld der Eltern immer wieder vor größerem Ärger bewahrt“, sagte Eric Boyles, einer der Angehörigen der Opfer, nach der Bekanntgabe. „Für mich ist heute klar geworden, dass Geld auch diesmal für Couch alles erledigt hat. Wäre es ein anderer Junge gewesen, hätte es vermutlich auch ein anderes Urteil gegeben.“ Boyles hatte bei der Tragödie seine Frau und Tochter verloren.

Das Couch-Urteil ist das vorläufige Ende eines Falles, der am 15. Juni 2013 begann. Damals ging der Teenager nahe Fort Worth mit Freunden auf eine Sauftour. Da sie unter 21 Jahre waren und kein Alkohol kaufen durften, hatten sie kurzerhand ein Bierregal in einem Supermarkt geplündert. Dann flüchteten sie in dem Wagen von Couch, einem Ford Pickup-Truck F-350, und betranken sich hemmungslos. Doch die Party war damit noch nicht am Ende. Couch, bei dem später 2,4 Promille Alkohol sowie Spuren von Valium im Blut gefunden wurden, zog mit zwei seiner Freunde weiter. Die Gruppe fuhr nach Burleson, knapp 17 Autominuten südlich von Fort Worth, wo sie mit ihrem schweren Truck über die Hauptstraße rasten. Dabei soll Couch laut Polizei mit mindestens 110 Stundenkilometer gefahren sein, knapp 60 waren erlaubt.

Wenig später verlor Couch die Kontrolle über den Wagen und schleuderte in das am Straßenrand stehende Auto von Breanna Mitchell, 24. Sie hatte eine Panne und wollte einen Reifen wechseln. Hollie und Shelby Boyles, Mutter und Tochter, die in der Nähe lebten, halfen ihr dabei. Ebenso Pfarrer Brian Jennings, der zufällig vorbeikam.

Alle vier Personen wurden von dem heranrasenden Truck erfasst und flogen laut Polizei fast „50 Meter durch die Luft“. Sie waren auf der Stelle tot. Die beiden Kinder von Mitchell, die im Auto saßen, wurden nur leicht verletzt. Auch der volltrunkene Ethan Couch kam mit leichten Blessuren davon. Seine Freunde Sergio Molina und Soliman Mohmand, die auf der Ladefläche saßen, liegen noch immer mit schweren Verletzungen in einer Klinik.

Bei einer ersten Anhörung vor Gericht gestand Couch den Unfall. Die Staatsanwaltschaft forderte 20 Jahre Gefängnis. Sein Verteidiger Scott Brown dagegen erklärte, dass sein Mandant psychisch krank sei, und beantragte eine Therapie in einer privaten Anstalt. Die Kosten von 450.000 Dollar wollte der Vater übernehmen. Brown präsentierte auch einen Psychologen, der Couch zuvor untersucht hatte. „Dieses Kind lebte in einer Umgebung, die ihn krank gemacht hat“, erklärte Dr. Gary Miller. „Wenn er ins Gefängnis muss, wird ihn das noch kränker machen.“ Heftig kritisierte Miller aber Couchs’ Eltern, die „jahrelang vor dem Jungen gestritten hätten“. Der Junge habe „niemals gelernt, sich zu entschuldigen“, sagte der Psychologe. „Die Eltern hätten ihm immer gesagt: ,Wenn du jemanden wehtust, gib ihm einfach Geld‘.“ Strafen habe es nie gegeben. Selbst als Couch im Februar von der Polizei auf einem Parkplatz volltrunken in seinem Pick-up gefunden wurde, neben einem nackten, 14 Jahre alten Mädchen, habe es keinen Ärger gegeben. „Der Junge zeigt emotional keine Rührung“, fasste Miller sein Gutachten zusammen. „Er hatte Freiheiten, die keinem Jugendlichen gegeben werden sollten.“ Laut Miller brauche Couch „ein bis zwei Jahre Therapie“, in denen er absolut keinen Kontakt zu den Eltern haben sollte.

Richterin Boyd folgte seinen Argumenten. Sie verzichtete auf eine Gefängnisstrafe. Verstößt Couch gegen die Bewährungsauflagen, soll er für zehn Jahre hinter Gitter. „Ich bin wütend über dieses Urteil“, sagte Breannas Mutter Marla Mitchell. „Er glaubt jetzt bestimmt, er sei wieder davongekommen. Er ist aber nicht frei. Gott wird ihn dafür bestrafen.“ Ähnlich denkt auch Shaunna Jennings, die ihren Mann, Pfarrer Brian Jennings, verloren hat. Aber sie sagt auch: „Ich habe diesem Jungen vergeben. Auch wenn ich finde, dass er dafür bestraft werden müsste.“