Die Beamten fürchteten das Schlimmste. Doch die schillernde Figur im Krimi um die Nazis und die Kunst hatte einfach das Klingeln ignoriert.

München. Aus Sorge um den Gesundheitszustand des Kunsthändler-Sohns Cornelius Gurlitt hat die Polizei dessen Münchner Wohnung aufbrechen lassen. Ein besorgter Angehöriger habe sich gemeldet, weil Gurlitt nicht mehr ans Telefon gegangen sei, bestätigte ein Polizeisprecher Berichte der Münchner Zeitungen „tz“ und „Abendzeitung“.

Der 81-Jährige habe auch auf Klingeln an seiner Tür nicht reagiert. Die Ermittler hätten Gurlitt aber wohlbehalten aufgefunden.

Der Polizeisprecher sagte, die Ermittler hätten sich wegen der besonderen Umstände des Falls Gurlitt nach der Alarmierung zum Aufbrechen der Tür entschieden. Der bis dahin vollkommen zurückgezogen lebende Münchner war Anfang November in die Öffentlichkeit geraten, nachdem bekannt geworden war, dass die Polizei in seiner Wohnung rund 1400 Kunstwerke beschlagnahmt hatte.

Die Werke sollen zum Teil aus der NS-Raubkunst stammen, könnten zum Teil aber auch aus dem Privatbesitz seines Vaters Hildebrand Gurlitt stammen. Die Aufklärung der Besitzverhältnisse gestaltet sich schwierig.

Cornelius Gurlitt erhielt vom „Spiegel“ den Namen „Das „Phantom“. Während Kulturschaffende und Politiker sich in heller Aufregung übertreffen über das, was der alte Herr jahrzehntelang in seiner Wohnung hortete, macht er das, was er offenbar sein ganzes Leben lang tat: Er lässt sich nicht stören von der Welt da draußen.

Außer Gurlitt wusste wohl niemand von dem Kunstschatz, als er am 22. September 2010 mit dem Zug von Zürich nach München fuhr und von Zollfahndern kontrolliert wurde – mit viel Bargeld in der Tasche. Etwas Strafbares konnten die zwar nicht entdecken, ein vager Verdacht aber blieb.

Und so wurde der Mann, der auf den wenigen Fotos, die von ihm existieren, stets einen chicen, schwarzen Mantel trägt, observiert, wie der Augsburger Staatsanwalt Reinhard Nemetz später sagen sollte. Anderthalb Jahre nach der zufälligen Kontrolle im Zug hatten die Behörden genug Verdachtsmomente zusammengetragen für das, was am 28. Februar 2012 geschah.

Da brach die Staatsanwaltschaft ein in Gurlitts abgeschlossene Welt und was auch immer die Ermittler dort zu finden glaubten, der Schatz dort übertraf alle Erwartungen: Gemälde, Aquarelle, Lithografien, Drucke und Zeichnungen vor allem aus der klassischen Moderne – alle fachgerecht aufbewahrt. Drei Tage dauerte es, bis die Beamten alles verpackt und aus der Wohnung geschafft hatten. Für Gurlitt muss das ein Schock gewesen sein.

Cornelius Gurlitt ist der Sohn von Hildebrand Gurlitt (1895-1956), der einer der vier Kunsthändler Adolf Hitlers war. Zahlreiche Bilder, so der Verdacht von Kunstexperten, könnten die Nationalsozialisten einst Juden oder anderen im Nationalsozialismus verfolgten Kunstbesitzern geraubt haben. 593 Werke stehen in dem Verdacht, Nazi-Raubkunst zu sein, bei 384 könnte es sich um Werke handeln, die die Nationalsozialisten als „Entartete Kunst“ diffamierten und aus Museen entfernten.

Sohn Gurlitt hält sich, wie sein Vater, für den rechtmäßigen Besitzer seines Kunstschatzes. „Freiwillig gebe ich nichts zurück, nein, nein“, sagte er dem „Spiegel“. Ob er dieser Rechtmäßige ist, das soll eine eigens eingerichtete Taskforce klären, die angefangen hat, die betroffenen Bilder abzufotografieren und ins Internet zu stellen – auf dass sich potenzielle Vorbesitzer melden mögen. Bis der Fall – von den Behörden ungewollt – durch einen „Focus“-Bericht öffentlich wurde, war eine Kunsthistorikerin mit dem Fall befasst, eine einzige.