Nach dem Fund einer Fliegerbombe hat Magdeburg eine der größten Evakuierungsaktionen der Stadtgeschichte erlebt. 17.000 Menschen waren aufgerufen, ihre Wohnungen, Geschäfte und Büros zu verlassen.

Magdeburg. Das Herz der Landeshauptstadt steht still. Ein Einkaufszentrum ist geschlossen, tausende Menschen verlassen ihre Häuser und bringen sich in Sicherheit. Hubschrauber und Krankentransporte bringen Frühgeborene und Hochschwangere aus der Unifrauenklinik, Altenpflegeheime werden geräumt. Damit eine Fünf-Zentner-Bombe aus dem Zweiten Weltkrieg unschädlich gemacht werden kann, müssen am Donnerstag rund 17.000 Menschen ein Gebiet von 800 Metern rund um den Fundort im Zentrum der Landeshauptstadt verlassen. Den ganzen Tag dauert die Evakuierung, am Abend wird die Bombe schließlich entschärft.

Menschenleer ist es am frühen Abend dort, wo sonst Menschen nach ihrem Feierabend einkaufen, ins Kino gehen oder schlichtweg nach Hause fahren. Der Hauptbahnhof ist geschlossen, der Bahnverkehr ruht, Straßenbahnen und Autos müssen einen großen Bogen machen um den Fundort der Fliegerbombe am Magdeburger Damaschkeplatz.

Am Nachmittag hatten sich Hunderte Polizisten aufgemacht zu einem „großen Stubendurchgang“. „Die Kollegen werden mit Sicherheit die Letzten sein, die den Sicherheitsbereich verlassen“, sagt ein Polizeisprecher. Es wird geklopft und geklingelt, Passanten werden kontrolliert. Wer nicht ein dringendes Anliegen hat, wird nachdrücklich aufgefordert, das Gebiet zu verlassen. „Wir hoffen, dass jedem klar ist, wie gefährlich die Situation ist.“

Der Bombenfund hält Magdeburg seit Mittwoch in Atem und ließ viele kaum schlafen. Spezialisten des Kampfmittelbeseitigungsdienstes selbst hatten den hochgefährlichen Fund gemacht. Sie waren zu Sondierungsarbeiten gerufen worden, denn an dieser Stelle in Magdeburg soll in den kommenden Jahren ein neuer Tunnel entstehen. Weil Splitter bei einer Explosion so weit fliegen könnten, haben die Kampfmittelexperten einen Sicherheitsradius von 800 Metern um die Fundstelle festgelegt. Zwei Spezialisten gelingt es dann schließlich, die beiden Zünder der Fünf-Zentner-Bombe aus dem Zweiten Weltkrieg herauszudrehen und den Fund unschädlich zu machen.

Seit dem Morgen waren die Krankentransporte und Hubschrauber unterwegs, um Hilfsbedürftige aus der Unifrauenklinik und Senioren- und Pflegeheimen in Ausweichquartieren und anderen Kliniken unterzubringen. Die Frauenklinik mit gut 60 Betten ist Anlaufstelle für Hochrisikoschwangere, Mehrlingsgeburten und Frühgeborene. Der Ärztliche Direktor Jan Hülsemann sagte: „So eine Situation haben wir in den letzten Jahrzehnten nicht gehabt.“

Für ihn und sein Team gab es aber genug Zeit, alles zu planen und deshalb auch Ruhe zu bewahren. „Wir haben mit den Patientinnen und den Eltern gesprochen, sie vorbereitet. So eine Evakuierung einer Klinik, das ist auch eine sehr emotionale Geschichte“, betont Hülsemann. „Frühgeborene zu transportieren, das ist sehr, sehr aufwendig und kompliziert, ein Frühgeborenes bedarf ganz intensiver Betreuung und Versorgung.“ Über Nacht seien zusätzliche Brutkästen für den Transport besorgt worden. Es sei sogar zusätzliches Personal aus dem Urlaub zurückgeholt worden.

Auch im Maritim, einem der großen Hotels in der Magdeburger Innenstadt, ging nichts mehr. „Ab 16.00 Uhr haben wir unsere Gäste ausquartiert in andere Hotels“, hieß es an der Rezeption. Knapp 200 seien in Partnerhotels untergekommen, sollten aber noch Abend zurückkehren können.

In der Turnhalle einer Berufsschule ist Carmen Giesa von der Heim- und Pflegedienstleitung des Hauses am Adelheidring mit ihren Senioren für die Nacht zum Freitag untergekommen. Sie will ihren Schützlingen nicht von der Seite weichen. „Ich suche mir hier eine Pritsche wie jeder andere auch“, sagt die tatkräftige junge Frau. Die Evakuierung sei wohl geplant abgelaufen. Bis auf einen Bewohner seien alle freiwillig mitgekommen. Eine Seniorin fragt Carmen Giesa dennoch: „Kann man noch ein Taxi bestellen?“ Giesa versucht, die betagte Dame zu beruhigen. Die Nacht bleiben sie noch hier, erst dann geht es wieder zurück nach Hause.