Boris Becker ist gerade auf vielen Kanälen verstörend präsent. In seiner zweiten Biografie lässt der Ex-Tennisstar kein Fettnäpfchen aus. Und kommende Woche will er sich bei RTL mit Oliver Pocher messen.

Hamburg. Hat er das nötig? Man mag es kaum glauben angesichts von allein 25 Millionen Dollar Preisgeldeinnahmen. Dazu die unschätzbar hohen Werbegelder aus der Zeit, als er noch „drin“ war. Andererseits: Das Leben zwischen London, Miami, München und der ganzen Welt ist nicht billig, die Scheidung von Frau Barbara, Unterhalt für die Kinder, der gewohnte Lebensstandard. „Ich fliege nie länger als eine Stunde zum Essen“, ist ein überliefertes Bonmot des Jet-Setters und einstigen Lieblings der Nation. Ja, möglicherweise hat Boris Becker es wirklich nötig.

Gerade wird Deutschland Zeuge einer bemerkenswerten Selbstdemontage. Augenscheinlicher Anlass der verstärkten Präsenz ist das Erscheinen der zweiten Biografie von Boris Becker. Peinlichkeiten, Fettnäpfchen, Affären und Skandälchen hat sich Becker ja schon immer geleistet, aber diese Häufigkeit jetzt ist schon verstörend.

Fotos tauchen auf, die ihn aufgedunsen und ungesund erscheinen lassen, er leistete sich einen „Twitterkrieg“ mit Oliver Pocher und Stefan Raab, und nun will er sich am kommenden Freitag gar bei RTL im Privatfernsehen mit Pocher messen. Ehefrau Lilly muss auch mitkommen, einen hohen sechsstelligen Betrag sollen beide laut „Bild“-Zeitung erhalten. Boris Becker ist omnipräsent. Fremdschämen inklusive.

Ganz anders Stefanie Graf. Sie hat den Griff ihres Tennisschlägers im Oktober mit rosafarbenen Band umwickelt. Die Baseballmannschaft ihres Sohnes Jaden Gil trägt rosa T-Shirts und Socken. Das soll die Aufmerksamkeit im Kampf gegen Brustkrebs steigern. Die Rekord-Grand-Slam-Siegerin engagiert sich mit ihrer Stiftung, die sich um traumatisierte Kinder kümmert, auch bei dieser weltweiten Aktion. Privat hat sie Kürbisse geholt, es ist bald Halloween. Auch davon gibt es Fotos bei Facebook. Man sieht sie gern.

Der Boris und die Steffi, beide waren mal Deutschlands Tennistraumpaar. Gemeinsam marschierten sie von Grand-Slam-Sieg zu Grand-Slam-Sieg. Und der Boulevard versuchte schon, romantische Kränze zu flechten. Aber nichts lag ihnen ferner. 1999 beendeten beide ihre Sportkarriere. Stefanie Graf zog zu Andre Agassi nach Las Vegas, gründete eine Familie und lebt augenscheinlich ein glückliches Leben.

46 Jahre alt wird Boris Becker im November. In zwei Jahren steht bereits das 30. Jubiläum seines ersten Wimbledon-Sieges an. Äußere Ähnlichkeit hat er kaum noch mit dem 17-jährigen Leimener, der die deutsche Tennisszene einst aus den Angeln hob. Jahrelanger Leistungssport hinterlässt seine Spuren. Aber wahrscheinlich nicht nur das.

Viel beschäftigt ist Becker, sagt er. Er kommentiert Tennis bei der BBC und veröffentlich Kolumnen, er repräsentiert für ein Poker-Unternehmen, er wirbt für Sonnenbrillen. Für eine Billig-Baumarkt-Kette war er seit 2011 als Werbepartner aktiv. Die ist inzwischen pleite. So oder so ist es schwierig, den Überblick darüber zu behalten, was Becker so macht. Und was er eben nicht mehr macht. Zu viel hat er begonnen und nicht zu Ende geführt.

Der Mann hat dennoch Charisma. Wenn er einen Raum betritt, dann ist das Zimmer voll. Was nicht an seinem vergrößerten Körperumfang liegt. Er kann charmant sein, die Augen blitzen schalkhaft. Er ist ein Star, war es immer, muss es immer sein. Die Öffentlichkeit ist Teil seines Lebens. Angehimmelt zu werden gehört dazu, er kennt es ja nicht anders. Der Applaus auf dem Tennisplatz, bei Sport-Awards oder Buchpräsentationen. Und wenn das Publikum mal nicht nach ihm fragt, dann produziert er mit der Videokamera Heimfilmchen und präsentiert sie online. Oder fotografiert die aktuelle Gemahlin reitend und nennt sie „Wifey“.

Seine jahrelange Mitstreiterin Stefanie Graf, 44, braucht, so liegt es nahe, die Öffentlichkeit überhaupt nicht. Das war schon als Spielerin so. Presse? Böse. Es war eine lästige Pflicht, wohlgefühlt hat sie sich im Rampenlicht nie.

Das ist auch wenig verwunderlich angesichts der Affären um ihren Vater. Steuerbetrug, Nacktmodell-Erpressung, Alkohol, es kamen einige Zeilen zusammen, die an der jungen Frau nicht spurlos vorübergehen konnten. Ihr Privatleben schottete sie also beinahe zwanghaft ab, die Verbindungen zu Tennisspieler Alexander Mronz und Rennfahrer Michael Bartels verblassten hinter den Turniersiegen. Beruf ist öffentlich, der Rest eben nicht. Wenn sie im Werbefernsehen Nudeln kochte, mit Biss, dann sah man auch nie für wen.

Andre Agassi schildert in seiner sehr interessanten Autobiografie „Open“ sein langes Werben um seine Frau. Seit dem gemeinsamen Champions-Dinner in Wimbledon 1992 sei er in sie verliebt gewesen. 1999 in Paris habe es gefunkt. Tatsächlich verbindet beide eine ähnliche Vergangenheit.

Beide wurden von dominanten Vätern zu Tennisstars gedrillt. Backpfeifen inklusive. Agassi hasste Tennis, weil sein Vater ihn dazu zwang. Er bewundert Graf dafür, wie sie fertig geworden ist mit all diesen Problemen, und wie gut sie Tennis spielt. Nur ein Leistungssportler kann einen Leistungssportler richtig verstehen, heißt es oft. 2001 haben Graf und Agassi geheiratet und sind es noch. Sohn Jaden Gil ist fast zwölf Jahre alt, Tochter Jaz Elle zehn. Es ist alles fast zu schön, um wahr zu ein. Ist es aber wohl. Aufmerksamkeit, Anerkennung und Liebe kommen von innen und müssen nicht draußen gesucht werden.

1997 ist Axel Meyer-Wölden gestorben. Der Münchner Rechtsanwalt war seit 1993 Boris Beckers Manager, Vertrauter und Berater. Eine prägende Figur für den Mitt- bis Endzwanziger, der zuvor gar nicht wusste, wohin mit seinem Ruhm und seinem Geld. 1984 hatte sich der Teenager von seinem Elternhaus abgenabelt und wurde neun Jahre vom dominierenden Manager Ion Tiriac betreut. Becker war bis zu Meyer-Wöldens Tod stets geführt worden. Dennoch war er schließlich überzeugt, selbst genug vom Geschäft gelernt zu habe, das überbordende Selbstvertrauen ließ keinen Zweifel. „Ich werde jetzt die kurzen Hosen gegen lange tauschen“, sagte er 1999 nach seinem letzten Tennisspiel in Wimbledon, „und ich will im Management genau so erfolgreich sein wie im Sport.“ Danach zeugte er im Treppenhaus eines Londoner Hotels seine Tochter Anna.

Unter Boris Beckers bekannt gewordenen Partnerinnen war eine Schauspielerin, ein Model, eine Schmuckdesignerin, eine Rapperin, eine Tänzerin. Seit 2009 ist er mit Lilly verheiratet, einer ehemaligen Hostess. Die Trauung in St. Moritz war ein durchinszeniertes Medienspektakel, das Privateste wurde zur Show. „RTL Explosiv“ zeigte eine Sondersendung über die Vorbereitungen und lieferte die schönsten Momente der Trauung nach. Die Rechte an den Bildern hatte sich exklusiv ein Klatschmagazin gesichert. Den Hochzeitstermin verkündete das Paar erstmals bei „Wetten dass...?“, die Eheringe stammten aus Zürich, die Brautjungfernkleider aus München, Roben aus Paris und ein Anzug aus London. Über 200 Gäste waren da. Darunter die üblichen Verdächtigen aus Deutschlands Sport-Bussi-Gesellschaft. Von Franziska van Almsick über Franz Beckenbauer, Jan Ulrich, Marcel Reif bis zu Vitali Klitschko – alles enge Freunde, selbstverständlich.

Das Ehepaar Andre Agassi und Steffi Graf war nicht zugegen.