Neue Spuren könnten den Durchbruch im Fall des vermissten Mädchens bringen. Mehr als 1000 Hinweise an Scotland Yard

London. Zwei Phantombilder eines Mannes haben möglicherweise einen Durchbruch im Fall der seit sechs Jahren verschwundenen Madeleine „Maddie“ McCann erbracht. Seit die BBC die elektronisch erstellten Fahndungsfotos (e-fits), in der einstündigen Sendung „Crimewatch“ am Montagabend ausstrahlte, sind mehr als 1000 Hinweise aus der Öffentlichkeit bei der Soko von Scotland Yard eingegangen.

Eine Reihe von ihnen enthielt Namen, wobei einer mehrfach genannt wurde. Der Mann auf den Bildern gilt jetzt als der Haupttatverdächtige. Die britischen Ermittler gehen inzwischen davon aus, dass das damals dreijährige englische Mädchen Opfer einer längerfristig geplanten Entführung geworden ist, an deren Vorbereitung womöglich auch Deutsche beteiligt waren.

Maddie verschwand am 3. Mai 2007, neun Tage vor ihrem vierten Geburtstag, in der Zeit zwischen 21.15 und 22 Uhr aus einer Ferienwohnung in dem Algarve-Ort Praia da Luz, während ihre Eltern mit sieben Freunden in einem Tapasrestaurant in unmittelbarer Nähe zu Abend aßen. Maddie war im Doppelbett der Eltern schlafen gelegt worden, ihre Geschwister, das 18 Monate alte Zwillingspärchen Sean und Amelie, schliefen in Kinderbettchen.

Bei der Person auf den beiden Phantombildern handelt es sich um einen Mann, der gegen 22 Uhr rund 500 Meter von der Ferienanlage entfernt beobachtet wurde. Er fiel der irischen Urlauberfamilie Smith auf, weil er ein blondes Kind von etwa drei oder vier Jahren auf dem Arm hatte. Das Kind trug einen Schlafanzug mit Blümchenmuster, der Maddies Pyjama ähnlich sah. Der Mann kam den Hügel von der Ferienanlage herab und ging entweder in Richtung Strand oder Innenstadt. Gleich nach ihrer Rückkehr aus dem Urlaub meldeten die Smiths ihre Beobachtung dann der Polizei.

Im September 2008 erstellten die von Maddies Eltern, dem Arztehepaar Kate und Gerry McCann, eingeschalteten Privatdetektive nach deren Beschreibungen die beiden Phantombilder. Die portugiesische Kripo schenkte den Smith-Aussagen jedoch keine Bedeutung, weil sie vermeintlich „in den falschen Zeitraum“ fielen. Die Portugiesen konzentrierten ihre Ermittlungen auf einen Mann mit einem Kind auf dem Arm, der gegen 21.15 Uhr, aus der Ferienanlage kommend, gesichtet worden war. Im Gegensatz zu ihnen ist es Chefinspektor Andy Redwood und seinem Team gelungen, diesen Mann ausfindig zu machen und den Verdacht gegen ihn zu entkräften. Er erwies sich als harmloser Familienvater aus England, der nur seine schlafende zweijährige Tochter aus dem Abendkindergarten des Ferienkomplexes abgeholt hatte.

Ebenfalls anders als seine portugiesischen Kollegen, die den Fall Ende 2008 zu den Akten legten, glaubt Redwood: „Madeleines Verschwinden trägt die Merkmale einer vorausgeplanten Entführung, und dazu gehörte zweifellos vorheriges Auskundschaften.“ Wie sich herausstellte, war die Ferienanlage in den Tagen, Wochen und Monaten zuvor ungewöhnlich häufig von Einbrechern heimgesucht worden, die zum Teil nichts stahlen, und von Männern, die sich als Spendensammler für Wohltätigkeitsorganisationen ausgaben. Verschiedentlich trieben sich Typen herum, allein oder zu zweit, die Wohnungen in der Anlage auszuspionieren schienen. Zwei von ihnen waren blond und sprachen Deutsch oder Holländisch.

Einer wurde zweimal in unmittelbarer Nähe des McCann-Apartments gesehen, zuletzt am Nachmittag des Tattages. Er wird als Anfang bis Mitte 30 beschrieben, hager, mit kurzem Haar und Rasierblessuren; er trug eine schwarze Lederjacke und eine Sonnenbrille mit breitem, dunklen Rahmen auf. Im Mai 2006 war ein Einbrecher beobachtet worden, der durch eine Verandatür in ein Erdgeschossapartment der Anlage eindrang, in eine Kinderwiege starrte und dann wieder türmte. „Uns interessiert sehr, ob dieser Fall eine Bewandtnis für Madeleines Verschwinden hat“, sagt Redwood.

Interviewt wurden für die Sendung auch Maddies Eltern, die kurzzeitig in Verdacht geraten waren. „Wir sind nicht diejenigen, die hier ein Unrecht begangen haben. Es ist vielmehr die Person, die in das Apartment eingestiegen ist und einer Familie ihr kleines Kind genommen hat“, sagte Kate McCann im britischen Fernsehen.

Heute wird sich die Sendung „Aktenzeichen XY ... ungelöst “ (20.15 Uhr, ZDF) mit dem Fall befassen.