Die Nebenkosten-Abrechnung seiner Wohnung lässt einen Sportschützen in Dossenheim zum Amokläufer werden. In seiner rasenden Wut verschont er nicht einmal die eigene Ehefrau.

Dossenheim/Heidelberg. Amoklauf aus Zorn über die Nebenkosten: Ein 71-jähriger Sportschütze hat in Dossenheim bei Heidelberg ein Blutbad unter seinen Nachbarn angerichtet, weil er sich bei der Wohnungsabrechnung betrogen fühlte. Der Rentner hatte am Dienstagabend mit den Worten „Ich bring' Euch alle um“ eine Eigentümerversammlung gestürmt und sofort das Feuer eröffnet. Zwei 82 und 54 Jahre alte Männer starben, wie die Staatsanwaltschaft am Mittwoch mitteilte. Unter den fünf verletzten Opfern ist auch die 70-jährige Ehefrau des Rentners und Familienvaters.

Der Amokläufer sei seit Jahrzehnten Mitglied in Schützenvereinen gewesen, ohne sich etwas zuschulden kommen zu lassen, sagte der Einsatzleiter der Polizei, Siegfried Kolmar. „Er hat bisher völlig unauffällig gelebt.“

Bei der Versammlung im Vereinshaus der TSG Germania 1889 Dossenheim hatte es den Angaben zufolge Streit über die Nebenkosten-Abrechnung 2012 gegeben. Schließlich verwies der Verwalter der Eigentümergemeinschaft den aufgebrachten Mann des Raumes. Zeugen berichteten, dass er sich an der Theke noch etwas zu trinken bestellte und sichtlich nervös wirkte.

Rentner gab 17 Schüsse ab

Eine Viertelstunde später stürmte er mit einer Neun-Millimeter-Pistole in die Versammlung im Nebenraum. Nach Angaben der Polizei gab der Rentner insgesamt 17 Schüsse auf die acht Anwesenden ab. Eine Person habe der Mann sogar bis auf die Terrasse der Sportgaststätte verfolgt. Danach tötete sich der Täter mit einem Schuss in die rechte Schläfe selbst.

Baden-Württembergs Innenminister Reinhold Gall (SPD) sprach von einem „schrecklichen Vorfall“. Er forderte wie Grünen-Bundeschef Cem Özdemir erneut das Verbot großkalibriger Waffen. Diese benötigten Sportschützen nicht, sagte der Minister. Menschen, die Schießsport betrieben, müssten „intensiv kontrolliert“ werden. Er könne nicht glauben, dass so ein Mann nicht vorher schon einmal aufgefallen sei, hatte er vor der Pressekonferenz der Polizei gesagt.

Zum Tatzeitpunkt waren auf dem großen Areal insgesamt 50 Vereinsmitglieder und Gäste, darunter auch Kinder. Die beiden erschossenen Männer hatten in dem Dossenheimer Mehrfamilienhaus mit acht Wohnungen unter einem Dach mit dem Amokläufer gelebt. Der 71-Jährige hinterlässt eine Tochter und zwei Enkelkinder.

Amokläufer besaß mehrere Schusswaffen

Die Tatwaffe habe der Mann schon 1992 in Heidelberg gekauft, sagte Einsatzleiter Kolmar. Außerdem habe der Amokläufer sechs weitere Schusswaffen legal besessen.

Sportschützen haben in Deutschland bereits mehrfach mit ihren Waffen ein Blutbad angerichtet. So hatte im September 2010 eine Sportschützin im südbadischen Lörrach ihren Ehemann, den fünfjährigen Sohn sowie den Pfleger eines Krankenhauses getötet. Sie hatte mehr als 300 Schuss Munition dabei und schoss wild um sich. Am Ende wurde sie von der Polizei erschossen.

Dossenheim weckt auch Erinnerungen an den Amoklauf von Winnenden und Wendlingen. Am 11. März 2009 hatte der 17-jährige Tim K. an seiner ehemaligen Schule und auf der Flucht 15 Menschen und sich selbst erschossen. Er hatte die Waffe von seinem Vater, einem Sportschützen. Beide Taten lösten heftige politische Debatten aus. Auch das deutsche Waffenrecht wurde seither weiter verschärft. Unter anderem sind Kontrollen von Waffenbesitzern heute leichter möglich.

Das Aktionsbündnis Amoklauf Winnenden dringt nach der Bluttat von Dossenheim auf schärfere Waffengesetze. Die Waffen von Sportschützen müssten endlich zentral aufbewahrt und besonders gesichert werden, sagte Hardy Schober vom Aktionsbündnis. „Hätte er keinen Zugriff auf die Waffe gehabt, wäre es nicht zu der Tat gekommen.“ Bereits 2009 habe das Bündnis diese Forderung klipp und klar formuliert. Es sei ärgerlich, dass die Bundesregierung nicht endlich handle.

Özdemir sagte, gefährliche Schusswaffen müssten raus aus Privatwohnungen. Der Parlamentarische Geschäftsführer der Grünen-Fraktion im Landtag, Uli Sckerl, sagte: „Immer wieder werden Menschen getötet und anschließend passiert nichts, das darf einfach nicht wahr sein.“ FDP-Fraktionschef Hans-Ulrich Rülke hingegen warnte vor „reflexhaften Forderungen“ nach der Verschärfung von Gesetzen und davor, Sportschützen und Jäger potenziell zu kriminalisieren.