Spaniens Ministerpräsident hat am Donnerstag die Stelle besucht, an der ein Schnellzug entgleiste. Der Lokführer hat inzwischen bestätigt, in einer Kurve mehr als doppelt so schnell gefahren zu sein. Merkel und Gauck kondolieren.

Madrid. In Spanien hat sich eines der größten Zugunglücke in der Geschichte des Landes ereignet. Nach offiziellen Angaben kamen mindestens 78 Menschen ums Leben, als ein Schnellzug der Eisenbahngesellschaft Renfe kurz vor dem Bahnhof der Pilgermetropole Santiago de Compostela aus den Gleisen sprang.

73 der Opfer wurden tot geborgen, fünf der Menschen starben im Krankenhaus, so die vorläufige Bilanz. Es sei nicht auszuschließen, dass noch weitere Tote und Verletzte gefunden würden. Die Zahl der Verletzten blieb weiter unklar, die Behörden gehen von etwa 130 aus. Die Tageszeitung „El Mundo“ berichtete von 143 Verletzten.

An der Unglücksstelle bot sich ein Bild des Schreckens. Das Unglück ereignete sich um 20.42 Uhr aus noch ungeklärter Ursache auf einer Hochgeschwindigkeitsstrecke nach einem Tunnel etwa vier Kilometer vor dem Bahnhof der Regionalhauptstadt Galiciens.

Nach jüngsten Angaben der spanischen Bahngesellschaft Renfe befanden sich nach Regierungsangaben 247 Passagiere und Bahnmitarbeiter an Bord des Zugs aus der Hauptstadt Madrid in die Stadt El Ferrol an der Atlantikküste, als dieser entgleiste.

Die 13 Waggons des Zugs schoben sich ziehharmonikaförmig ineinander, lagen zum Teil auf der Seite oder in die Höhe verkantet. Der Präsident der autonomen Region Galicien, Alberto Nuñez Feijoo, beschrieb einen der Waggons als regelrecht „zerrissen“. „Es ist schockierend“, sagte Feijoo. „Das ist wie Dantes Inferno.“

Bei dem Unglückszug handelte es sich nicht um einen der spanischen AVE-Hochgeschwindigkeitszüge, aber um einen relativ luxuriösen Schnellzug-Typen, der die vor zwei Jahren in Betrieb genommene Hochgeschwindigkeitsstrecke benutzen durfte.

Lokführer bestätigt überhöhte Geschwindigkeit

Nach dem Unglück stieg Rauch aus den Trümmern auf, aus der Lok schlugen Flammen. Entlang der Gleise lagen mit Fortschreiten der Bergungsarbeiten immer mehr Leichen, die mit Tüchern bedeckt wurden. Zuletzt teilten die Behörden mit, 73 Tote seien aus den Trümmern des Zugs geborgen worden. Vier weitere Menschen seien im Krankenhaus ihren schweren Verletzungen erlegen. Weiter hieß es, „bestimmte Bereiche“ des Wracks seien weiter unzugänglich.

Ein Renfe-Sprecher sagte, es gebe „keinen Hinweis“ darauf, dass es sich nicht um einen Unfall gehandelt habe. Die Unglücksursache werde gemeinsam mit dem staatlichen Unternehmen Adif, das für die Schienen verantwortlich ist, untersucht. Erkenntnisse könnte demnach die Auswertung der sogenannten Blackbox des Zugs bringen.

Inzwischen hat der Lokführer eingeräumt, viel zu schnell gefahren zu sein. Der Zug sei mit rund 190 Stundenkilometern unterwegs gewesen, obwohl in der Unglückskurve höchstens Tempo 80 zulässig gewesen sei, bestätigte er nach Angaben der Ermittler vom Donnerstag. Über den Grund für die überhöhte Geschwindigkeit wurde zunächst nichts bekannt. Renfe warnte vor vorschnellen Schlussfolgerungen und versprach eine gründliche Untersuchung der Unfallursache.

In Regierungskreisen hieß es, zum Grund der Entgleisung werde es erst dann eine offizielle Stellungnahme geben, wenn der Fahrtenschreiber des Zuges ausgewertet sei. Es sei aber sehr wahrscheinlich ein Unfall gewesen und keine Sabotage oder ein Anschlag.

„Ein Knall wie bei einem Erdbeben“

Auch wenn die Regierung von einem Unfall ausgeht, weckt die Katastrophe doch Erinnerungen an das Jahr 2004. Damals wurden bei Anschlägen von Islamisten auf Züge in Madrid 191 Menschen getötet.

Das schlimmste Zugunglück in Spanien ereignete sich laut der spanischen Nachrichtenagentur Europa Press 1944, als ein Zug ebenfalls auf dem Weg von Madrid nach Galicien verunglückte. Damals kamen 78 Menschen ums Leben. 1972 starben bei einem Bahnunfall nahe Sevilla 77 Menschen.

Der 39-jährige Francisco Otero, der sich zum Zeitpunkt des Unfalls in einem Haus nahe der Unglücksstelle aufhielt, berichtete von einem „großen Knall, als ob es ein Erdbeben gegeben hätte“. „Das erste, was ich gesehen habe, war eine Frauenleiche“, sagte er. Überall sei Rauch gewesen. Anwohner hätten versucht, mit Werkzeugen und bloßen Händen Menschen aus dem Zug zu befreien.

„Es ging alles so schnell“, berichtete ein Passagier im Hörfunksender Cadena Ser. Der Zug sei in einer Kurve entgleist, die Wagen hätten sich ineinandergeschoben. „Viele Menschen wurden zu Boden gedrückt. Wir haben versucht, ins Freie zu kommen. Dann haben wir gemerkt, dass der Zug in Flammen stand. Ich war im zweiten Wagen. Und dann war da das Feuer. Und dann habe ich die Leichen gesehen.“

Jakobsfest wird abgesagt

Santiago de Compostela ist die Hauptstadt Galiciens und ein wichtiges Pilgerzentrum, das jährlich zehntausende Menschen anzieht. Am Donnerstag sollte dort ein Fest zu Ehren des Schutzpatrons von Galicien, des Heiligen Jakobs, stattfinden. Viele Reisende befanden sich auf dem Weg dorthin. Das Jakobsfest besuchen seit dem Mittelalter Tausende Pilger.

Wegen des Zugunglücks sagten die Behördendie geplanten Feierlichkeiten jedoch ab. Außerdem wurden in ganz Galicien Feiern zum Nationalfeiertag der autonomen Region am 25. Juli abgesagt. Die Behörden riefen die Menschen zu Blutspenden auf.

„Angesichts der Tragödie in Santiago de Compostela am Vorabend seines großen Tages kann ich den Spaniern und Galiciern nur mein tiefstes Mitgefühl aussprechen“, sagte Ministerpräsident Mariano Rajoy. Er stammt selbst aus der Stadt und reiste am Donnerstag zum Unglücksort. Dabei ordnete Rajoy eine dreitägige offizielle Trauer für das Land an.

Außerdem sprach er mit Verletzten und Angehörigen von Opfern der Katastrophe. „Wie alle wissen, ist heute ein sehr schwieriger Tag“, sagte Rajoy. „Wir haben ein schreckliches, dramatisches Unglück erlebt, das wir, wie ich fürchte, noch lange in Erinnerung haben werden.“ Die Regierung der Region Galicien, deren Hauptstadt Santiago ist, hat eine einwöchige Trauer angeordnet. Auch König Juan Carlos sprach den Opfern und Angehörigen sein Mitgefühl aus.

Papst Franziskus rief in Brasilien, wo er sich seit Montag aufhält, zum Gebet für die Opfer des Unglücks auf. Das Kirchenoberhaupt sei „den Familien in ihrem Schmerz nahe“, sagte Vatikansprecher Federico Lombardi in Rio de Janeiro, wo derzeit der katholische Weltjugendtag stattfindet. Lombardi bat vor Beginn der täglichen Pressekonferenz um eine Gedenkminute für die Opfer.

Bestürzung bei Gauck, Merkel und Westerwelle

Auch aus Deutschland gibt es Reaktionen. Bundespräsident Joachim Gauck zeigte sich bestürzt. „Unsere Gedanken sind bei den Hinterbliebenen, denen wir Kraft wünschen für die Bewältigung des schrecklichen Verlustes, den sie erlitten haben“, betonte Gauck am Donnerstag in einem Schreiben an den spanischen König Juan Carlos. Er sprach ihm „auch im Namen der deutschen Bevölkerung meine tief empfundene Anteilnahme“ aus. Den Verletzten wünschte der Bundespräsident baldige Genesung.

Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) sprach in einem Beileidstelegramm an Rajoy den Spaniern ihre Anteilnahme aus. Die Bilder von der Unglücksstelle bei Santiago de Compostela „lassen das entsetzliche Leid nur erahnen“, schrieb Merkel.

Die Kanzlerin bat Rajoy ferner, den Angehörigen der Opfer das Beileid der Deutschen und den Verletzten „unsere besten Wünsche für eine rasche und vollständige Genesung“ zu übermitteln.

Ob sich möglicherweise auch Deutsche in dem Zug befanden, war zunächst unklar. Die deutsche Botschaft in Madrid stehe mit den spanischen Behörden in Kontakt und bemühe sich um Aufklärung, „ob sich deutsche Staatsangehörige unter den Opfern und Verletzten des Zugunglücks befinden“, erklärte eine Sprecherin des Auswärtigen Amtes in Berlin.

Auch Außenminister Guido Westerwelle (FDP) erklärte den Familien und Angehörigen der Opfer sein Mitgefühl und wünschte den Verletzten baldige Genesung.