Kurz vor dem Bahnhof der spanischen Pilgermetropole Santiago de Compostela sprang ein Schnellzug der Bahngesellschaft Renfe aus den Gleisen. Dutzende Passagiere starben, mehr als Hundert wurden verletzt.

Madrid. In Spanien hat sich eines der größten Zugunglücke in der Geschichte des Landes ereignet. Mindestens 77 Menschen kamen ums Leben, als ein Schnellzug der staatlichen Eisenbahngesellschaft Renfe kurz vor dem Bahnhof der Pilgermetropole Santiago de Compostela aus den Gleisen sprang.

Das spanische Fernsehen berichtete, es sei nicht auszuschließen, dass noch weitere Tote gefunden würden. Die Regionalzeitung „La Voz de Galicia“ sprach sogar von mindestens 79 Toten. Weitere 143 Menschen seien verletzt worden, teilten die Behörden am frühen Donnerstag mit.

An der Unglücksstelle bot sich ein Bild des Schreckens. Das Unglück ereignete sich um 20.42 Uhr aus noch ungeklärter Ursache auf einer Hochgeschwindigkeitsstrecke etwa vier Kilometer vor dem Bahnhof der Regionalhauptstadt Galiciens.

Nach jüngsten Angaben der spanischen Bahngesellschaft Renfe befanden sich nach Regierungsangaben 247 Passagiere und Bahnmitarbeiter an Bord des Zugs aus der Hauptstadt Madrid in die Stadt El Ferrol an der Atlantikküste, als dieser entgleiste.

Die 13 Waggons des Zugs schoben sich ziehharmonikaförmig ineinander, lagen zum Teil auf der Seite oder in die Höhe verkantet. Der Präsident der autonomen Region Galicien, Alberto Nuñez Feijoo, beschrieb einen der Waggons als regelrecht „zerrissen“. „Es ist schockierend“, sagte Feijoo. „Das ist wie Dantes Inferno.“

Zu schnell in die Kurve gebogen?

Nach dem Unglück stieg Rauch aus den Trümmern auf, aus der Lok schlugen Flammen. Entlang der Gleise lagen mit Fortschreiten der Bergungsarbeiten immer mehr Leichen, die mit Tüchern bedeckt wurden. Zuletzt teilten die Behörden mit, 73 Tote seien aus den Trümmern des Zugs geborgen worden. Vier weitere Menschen seien im Krankenhaus ihren schweren Verletzungen erlegen. Weiter hieß es, „bestimmte Bereiche“ des Wracks seien weiter unzugänglich.

Ein Renfe-Sprecher sagte, es gebe „keinen Hinweis“ darauf, dass es sich nicht um einen Unfall gehandelt habe. Die Unglücksursache werde gemeinsam mit dem staatlichen Unternehmen Adif, das für die Schienen verantwortlich ist, untersucht. Erkenntnisse könnte demnach die Auswertung der sogenannten Blackbox des Zugs bringen.

Nach ersten Informationen war der Zug offensichtlich viel zu schnell in eine Kurve eingebogen. Renfe warnte vor vorschnellen Schlussfolgerungen und versprach eine gründliche Untersuchung der Unfallursache.

In Regierungskreisen hieß es, zum Grund der Entgleisung werde es erst dann eine offizielle Stellungnahme geben, wenn der Fahrtenschreiber des Zuges ausgewertet sei. Es sei aber sehr wahrscheinlich ein Unfall gewesen und keine Sabotage oder ein Anschlag.

„Ein Knall wie bei einem Erdbeben“

Auch wenn die Regierung von einem Unfall ausgeht, weckt die Katastrophe doch Erinnerungen an das Jahr 2004. Damals wurden bei Anschlägen von Islamisten auf Züge in Madrid 191 Menschen getötet.

Der 39-jährige Francisco Otero, der sich zum Zeitpunkt des Unfalls in einem Haus nahe der Unglücksstelle aufhielt, berichtete von einem „großen Knall, als ob es ein Erdbeben gegeben hätte“. „Das erste, was ich gesehen habe, war eine Frauenleiche“, sagte er. Überall sei Rauch gewesen. Anwohner hätten versucht, mit Werkzeugen und bloßen Händen Menschen aus dem Zug zu befreien.

„Es ging alles so schnell“, berichtete ein Passagier im Hörfunksender Cadena Ser. Der Zug sei in einer Kurve entgleist, die Wagen hätten sich ineinandergeschoben. „Viele Menschen wurden zu Boden gedrückt. Wir haben versucht, ins Freie zu kommen. Dann haben wir gemerkt, dass der Zug in Flammen stand. Ich war im zweiten Wagen. Und dann war da das Feuer. Und dann habe ich die Leichen gesehen.“

Jakobsfest wird abgesagt

Santiago de Compostela ist die Hauptstadt Galiciens und ein wichtiges Pilgerzentrum, das jährlich zehntausende Menschen anzieht. Am Donnerstag sollte dort ein Fest zu Ehren des Schutzpatrons von Galicien, des Heiligen Jakobs, stattfinden. Viele Reisende befanden sich auf dem Weg dorthin. Das Jakobsfest besuchen seit dem Mittelalter Tausende Pilger. Wegen des Zugunglücks sagten die Behördendie geplanten Feierlichkeiten jedoch ab.

„Angesichts der Tragödie in Santiago de Compostela am Vorabend seines großen Tages kann ich den Spaniern und Galiciern nur mein tiefstes Mitgefühl aussprechen“, sagte Ministerpräsident Mariano Rajoy. Er stammt selbst aus der Stadt und wird noch am Donnerstag am Unglücksort erwartet.

Papst Franziskus rief in Brasilien, wo er sich seit Montag aufhält, zum Gebet für die Opfer des Unglücks auf. Das Kirchenoberhaupt sei „den Familien in ihrem Schmerz nahe“, sagte Vatikansprecher Federico Lombardi in Rio de Janeiro, wo derzeit der katholische Weltjugendtag stattfindet. Lombardi bat vor Beginn der täglichen Pressekonferenz um eine Gedenkminute für die Opfer.