Die Ermittlungen gegen zwei Polizisten in einem Vergewaltigungsfall in einem ukrainischen Dorf decken ein Netz von Amtsmissbrauch auf. Die Täter dachten offenbar, sie kämen straflos davon.

Kiev. Für die 29-jährige allein erziehende Mutter Irina Kraschkowa war es ein Sommerabend wie viele andere: Nach verschiedenen Besorgungen traf sich die Lebensmittelverkäuferin Anfang Juli mit ein paar Freundinnen in der Bar ihres kleinen südukrainischen Bauerndorfs, um noch ein wenig zu tanzen. Auf dem Heimweg wurde sie von zwei Polizisten eingeholt, einer davon ein dorfbekannter Trunkenbold, der wiederholt Dörfler gezwungen haben soll, seine Zeche zu zahlen.

Was folgte, veränderte Kraschkowas Leben. Aus und vorbei war es mit dem Job beim Dorfkrämer, geschenkt die nebenbei betriebene Entenzucht und kein Gedanke mehr an die abendlichen Brettspiele mit ihrem zwölfjährigen Sohn Dimitri. Insgesamt seien ihre Peiniger zu dritt gewesen, die zwei Polizisten und ein weiterer Mann, so erzählt es Kraschkowa. Sie hätten sie in ihr Auto gezogen und seien in den Wald gefahren. Dort schlugen sie ihr den Schädel ein und fielen über sie her, wie sie berichtet.

Nach der Vergewaltigung ließen die Männer von ihr ab, verschwanden, besannen sich dann offenbar und kehrten an den Tatort zurück – eventuell um sich vom Tod der Frau zu überzeugen und gegebenenfalls nachzuhelfen, vermutet das Opfer. Aber Kraschkowa hatte überlebt und war nicht mehr da. Sie hatte sich – schwer traumatisiert – in eine nahe gelegene Getreidemühle geschleppt. Nackt, die Sandalen mit den Händen umkrallt und die Scham notdürftig mit Blättern bedeckt fand die Müllerin Switlana Tschubko das gedemütigte Opfer.

„Sie hatte keine Lippe mehr, da waren nur Zähne“, sagt Tschubko. „Total blutverschmiert, der Kopf zertrümmert, das Gesicht geschwollen, alles grün und blau“, beschreibt die Müllerin das Aussehen des Opfers.

Polizeileutnant ist alkoholsüchtig

Zwei der mutmaßlichen Täter sind Ewgen Dryschak, der bullige alkoholsüchtige Polizeileutnant und sein Adjutant Dmitri Polischtschuk. Dryschak hat offenbar nach der Tat mehrere Untergebene im örtlichen Polizeiposten dahingehend instruiert, dass die Kollegen aussagen, er selbst sei zum Tatzeitpunkt in der Präfektur gewesen. Dryschak besaß sogar die Dreistigkeit, im Fall der Vergewaltigten selbst zu ermitteln und potenzielle Zeugen zu befragen.

Aber ihm wird nun nicht mehr geglaubt: Hunderte von aufgebrachten Nachbarn stürmten den Polizeiposten, nachdem Kraschkowa den Polizisten der Vergewaltigung beschuldigte. Erst dieser massive Ausbruch von Zivilcourage führte zur Verhaftung Dryschaks. Einige der Dörfler sagen: Hätte es den Sturm auf die Präfektur nicht gegeben, hätte die Nachricht von der Vergewaltigung der Irina Kraschkowa niemals das Dorf verlassen.

In der Ukraine sind Berichte von Vergehen korrupter Ordnungshüter an der Tagesordnung. Die Regierung unter Präsident Viktor Janukowitsch muss sich Dauerkritik der Opposition gefallen lassen, die ihr einen autokratischen Stil und Missachtung rechtsstaatlicher Grundsätze bescheinigt. Doch viele Ukrainer haben nun offenbar endgültig die Nase voll von der kumpelhaften Obrigkeit, die jeden Akt der Vetternwirtschaft unter den Teppich kehrt. Dies erklärt, warum Kraschkowas Fall die Nation derart in Aufruhr versetzt.

Protestcamp in Kiew

Erst im April befand Amnesty International, dass Korruption in der Polizei der Ukraine weit verbreitet sei, die Regierung aber wenig dagegen unternehme. Und eine Befragung von Transparency International ergab in diesem Monat, dass mehr als die Hälfte der Bürger annimmt, dass sich die Korruption während der vergangenen Jahre noch verschlimmert habe.

Ihre Wut haben die mutigen Dorfbewohner sogar bis in die Hauptstadt Kiew getragen: Dort errichteten sie zusammen mit Hunderten Unterstützern Ende vergangener Woche ein Protestcamp. Einige sind die 330 Kilometer aus der Südukraine sogar zu Fuß gelaufen. Doch die kleine Zeltstadt wurde von der Polizei schnell mit Gewalt geräumt und zerstört, einige Bewohner wurden festgenommen.

Auch in Wradijiwka sind sich die Frauen nicht sicher, ob das Dorf nach dem Hype um den Fall Kraschkowa nicht doch wieder in Anarchie versinkt. Ljudmyla Montian, eine 40-jährige Kollegin von Kraschkowa, befürchtet derlei, wenn die Ermittler aus Kiew wieder abziehen. Sie verweist auf die Vergewaltigung von Oxana Makar, die im vergangenen Jahr in der Provinzhauptstadt Mykolajiw missbraucht wurde, danach angezündet wurde und zwei Wochen später an den Brandverletzungen starb.

„Jeder will, dass sich die Verhältnisse ändern“, sagt sie. „Kommt es so? Wir wissen es nicht“.