Die Arbeiten an dem vor Italien havarierten Kreuzfahrtschiff dauern viel länger als geplant – und werden mit 500 Millionen Euro doppelt so teuer. Heute geht der Prozess gegen „Concordia“-Kapitän Schettino weiter.

Giglio. Von Weitem erinnern sie an Ameisen. Kleine, schwarze Punkte, die über den Rumpf der „Costa Concordia“ wuseln. Doch je näher das gekenterte Kreuzfahrtschiff in den Blick rückt, werden aus den Ameisen Menschen. Dutzende Arbeiter, die auf dem 70 Grad geneigten Luxusdampfer hämmern, schrauben und schweißen.

Nick Sloane, 51, steht auf dem Schlepper „Voe Earl“, der an die „Costa Concordia“ heranfährt und sie dann langsam umrundet. Er ist der Salvage Master, der Einsatzleiter. Seit 30 Jahren hetzt er über den Globus, von einer Havarie zur nächsten. Die Bergung der 290 Meter langen und 35 Meter breiten „Costa Concordia“ aber, das weiß auch Sloane, ist eine Herkulesaufgabe.

Am 13. Januar 2012 hatte das Schiff mit mehr als 4200 Passagieren an Bord vor der Insel Giglio einen Felsen gerammt. 32 Menschen starben in den eisigen Fluten, darunter zwölf Deutsche. Kapitän Francesco Schettino hingegen rettete sich. In diesem Sommer und Herbst soll nun das Drama aufgearbeitet werden, juristisch und eben auch technisch.

Schon am Mittwoch geht in Grosseto der Strafprozess gegen Schettino weiter, der vergangene Woche begonnen hatte. Bis zu 20 Jahre Haft drohen dem Neapolitaner. Es ist ein Mammutverfahren. 245 Zivilparteien haben sich angedockt und verklagen den Schuldigen auf Schadenersatz. In den kommenden Tagen wird darüber verhandelt, welche Klagen zugelassen werden. Es ist möglich, dass der Prozess dann erst Mitte September weitergeht. Dann, wenn die Bergung der „Costa Concordia“ in die entscheidende Phase tritt.

Retter riskieren Wendemanöver

Seit Monaten schon arbeiten 500 Arbeiter in Tag- und Nachtschichten rund um die Uhr an der Bergung des Kreuzfahrtriesen, darunter 100 Taucher. Die Gesellschaft Costa, die US-Firma Titan und der italienische Dienstleister Micoperi zerschlagen das Schiff nicht vor Ort. Stattdessen wagen sie ein Wendemanöver, das sie Parbuckling nennen. Sie versuchen, das zwischen zwei Felsen verkeilte Schiff zu stabilisieren, zu drehen und in einen nahe gelegenen Hafen zur Verschrottung zu überführen. Im September soll die „Costa Concordia“ in die aufrechte Position gezogen werden. Sechs gigantische Unterwasserplatten wurden gebaut, jede eineinhalb Mal so groß wie ein Fußballfeld. Jeweils 15 Stahlkästen sollen das Schiff von beiden Seiten einrahmen. Kostenpunkt? Mehr als 500 Millionen Euro. Das ist mehr als doppelt so viel, wie ursprünglich geschätzt.

Die Unwägbarkeiten sind enorm. Rutscht das Schiff ab und versinkt vollends? Schnellt es beim Drehen auf die andere Seite ins Wasser? Bricht es beim Abschleppen auseinander? Ganz Italien redet sich seit Wochen über das Projekt die Köpfe heiß. Gestritten wird über die Gefahren für die Umwelt. Gestritten wird über die Verteilung der finanziellen Lasten. Und gestritten wird, welcher Hafen das Wrack bekommt. Piombino in der Toskana und Civitavecchia in Latium buhlen um den Zuschlag, auch Sizilien hebt die Hand. Es geht um Tausende Arbeitsplätze. Für die italienischen Werften, die durch die europäische Schuldenkrise arg gebeutelt sind, ist das ein Hoffnungsschimmer in dunklen Zeiten.

Besonders hoch her geht es auf Giglio selbst. Die Insel mit ihren knapp 1500 Einwohnern lebt fast ausschließlich vom Tourismus. Seit dem Unglück der „Costa Concordia“ aber bleiben die Besucher fern. Im Jahr 2012 brachen die Übernachtungen um mehr als ein Viertel ein. Der Hafen wird nicht mehr von Badegästen, sondern von kräftigen, tätowierten Männern in blauen Overalls und Schutzhelmen bevölkert. Die Bar „Fausto“, direkt an der Anlegestelle der Fähren, ist ihr Pausentreff. Das Hotel „Demo’s“ dient ihnen als Zentrale. 17 Wohnungen auf der Insel sind für sie reserviert.

Bürgermeister Sergio Ortelli, 57, ist darüber gar nicht glücklich. Er läuft schon morgens wie aufgezogen durch den Hafen. Aufgebracht redet er auf einen Vertreter der Costa-Gesellschaft ein. „Wir müssen den Leuten endlich Gewissheit geben“, sagt er. „Es kann nicht sein, dass sich die Termine laufend verschieben.“ Eigentlich hätte das Schiff schon Anfang des Jahres weg sein sollen. Dann hieß es Mai, dann Juni. Mitte Juli ist es immer noch da.

Einsatzleiter Nick Sloane beteuert, alles zu tun, damit Giglio am Ende wieder so aussieht wie vor dem Unglück. Doch er weiß auch: „Wir können die Spuren beseitigen. Aber das Unglück lässt sich nicht ungeschehen machen.“