Bei den Anschlägen vom 11. September starben Tausende Menschen. Nur gut die Hälfte konnte bisher identifiziert werden. Nun wurde neuer Schutt ausgehoben, der weitere Leichenfragmente enthalten könnte.

New York. Nach den Anschlägen vom 11. September 2001 zog Jim Riches die verstümmelte Leiche seines Sohnes aus den Trümmern des World Trade Center. Doch noch Jahre später erhielt er Anrufe, dass weitere Leichenteile seines Kindes, eines Feuerwehrmannes, gefunden wurden. „Sie rufen an und sagen: 'Wir haben einen Schienbeinknochen gefunden.' Oder: 'Wir fanden einen Armknochen'“, sagt Riches, früher stellvertretender Feuerwehrkommandant. „Wir haben sie alle gesammelt und dann auf den Friedhof gebracht.“

Es sind solche Anrufe, die die Familien der Opfer gleichzeitig fürchten und herbeisehnen. Seit Montag untersuchen die Ermittler nun neuen Schutt vom Gelände der Zwillingstürme. Für viele Angehörigen keimen damit zum ersten Mal seit drei Jahren alte Ängste und Hoffnungen wieder auf. Von den rund 2750 Menschen, die bei den Terroranschlägen starben, wurden bisher erst 1634 identifiziert.

Nach Angaben eines Rechtsmediziners entdeckten die Ermittler am Montag zwei potenzielle menschliche Überreste. Das gab Grund zur Hoffnung, dass weitere Opfer identifiziert werden könnten. Bereits in den vergangenen Jahren wurden Zehntausende Dollar für den aufwendigen Identifizierungsprozess ausgegeben. „Wir würden gerne dafür sorgen, dass die 40% der Familien, die nie etwas gefunden haben, eines Tages ein Stück ihrer Angehörigen erhalten“, sagt Riches. „Damit sie auf einen Friedhof gehen können und beten.“

Bautrupps holten in den vergangenen Jahren bei der Errichtung des neuen World Trade Centers rund 60 Lastwagenladungen Schutt aus dem Boden, der winzige Knochen- oder Gewebefragmente enthalten könnte. Dieses Material wird nun nach Angaben der Stadtverwaltung nach Staten Island gebracht, wo Ermittler in den nächsten zehn Wochen versuchen wollen, menschliche Fragmente zu identifizieren.

Zuletzt war bis 2010 Trümmerschutt gesiebt worden. Dieses Mal wurde das Erdreich den Angaben zufolge an Stellen ausgehoben, die den Bauarbeitern bisher nicht zugänglich waren. „Wir beobachten das Gelände des World Trade Centers und den Baufortschritt“, sagt Ellen Borakove, Sprecherin der rechtsmedizinischen Abteilung. „Und wenn sie Material sehen, dass möglicherweise menschliche Überreste enthalten könnte, dann holen wir das ab.“

1,6 Millionen Tonnen Material vom Ground Zero wurden auf eine Deponie gebracht

Rund 9000 Leichenteile, die aus den Ruinen geholt wurden, sind bis heute nicht identifiziert, weil sie für einen Abgleich mit der DNA von Opfern ungeeignet waren. Sie werden an einem geheim gehaltenen Ort unter Aufsicht der Rechtsmediziner gelagert und eines Tages in eine unterirdische Kammer im National September 11 Memorial & Museum überführt.

Manche Angehörige reagierten mit Unmut auf die Nachricht, dass die Stadtverwaltung erst jetzt weitere Trümmerschutt freigelegt hat. „Ganz ehrlich, sie hätten das vor zwölf Jahren ausgraben und untersuchen sollen“, sagt Diane Horning, deren Sohn Matthew in den Terroranschlägen umkam. „Stattdessen bauten sie Zufahrtsstraßen und kümmerten sich mehr um das Bauen und den Tourismus als um die menschlichen Überreste.“

Um die Identifizierung der Opfer gibt es schon lange Kontroversen. Im April 2005 teilte der Leiter der Rechtsmedizin Charles Hirsch den Familien mit, die Identifizierung würde ausgesetzt, weil die Grenzen der DNA-Technologie erreicht seien. Doch nur ein Jahr später sorgte der Fund menschlicher Überreste auf dem Dach eines Bankenturms und in einem Gully nahe Ground Zero für Schlagzeilen. Die Angehörigen warfen der Stadtverwaltung vor, sie hätte die Suche seinerzeit vorzeitig abgebrochen. Die Funde lösten eine neuerliche Suchaktion aus, die 1500 Leichenfragmente zutage förderte und Zehntausende Dollar kostete.

Einige Angehörige verklagten die Stadt, weil sie 1,6 Millionen Tonnen Material von Ground Zero auf eine Deponie bringen ließ, anstatt den Abraum mit möglicher Asche von Opfern ordentlich zu bestatten. Die Klage wurde abgewiesen, auch die Anrufung des Obersten Gerichtshofs blieb erfolglos. Nun gaben die Rechtsmediziner bekannt, sie würden die Baustelle am Ground Zero so lange überwachen, wie neue Areale umgegraben oder freigelegt werden.

Charles G. Wolf freute sich, als er von der neuerlichen Suche hörte. Die Überreste seiner Frau Katherine wurden nie gefunden, er glaubt, dass von ihrer Leiche nicht viel übrig blieb. Vor Jahren quälte es ihn, dass er kein Grab hatte, an dem er trauern konnte. Die Einweihung des 9/11-Denkmals füllte die Leere in seinem Herzen, wie er sagt, doch einen Schlussstrich kann er nie ziehen. „Es heilt, man macht weiter“, sagt er. „Aber es ist nie zu Ende.“