Hat Oscar Pistorius seine Freundin vorsätzlich getötet? Dienstag ist die nächste Anhörung. Sponsoren stoppen Werbekampagnen.

Kapstadt. Als die Mordanklage verlesen war, griff Henke Pistorius über die kleine Holzbrüstung, die im Gerichtssaal C des Magistrate Court von Pretoria Zuschauer und Angeklagte trennt. Er berührte seinen Sohn Oscar Pistorius am Arm. Eine Geste der Unterstützung. Der berühmte Leichtathlet, dem die Staatsanwaltschaft "vorsätzlichen Mord" an seiner Freundin Reeva Steenkamp vorwirft, blieb stehen. Eine Sekunde lang schauten sich Vater und Sohn in die Augen. Ein Blick, der Vertrautheit signalisieren sollte, aber doch voller Fragen war. Dann ergriff ein Polizist den Arm des Mordverdächtigen und führte ihn aus dem voll besetzten Saal.

Pistorius bleibt bis mindestens Dienstag in einer Zelle der Brooklyn-Polizeistation von Pretoria. Haftrichter Desmond Nair stimmte dem Antrag der Verteidigung zu, dass der 26 Jahre alte Verdächtige bis dahin nicht in die Untersuchungshaft eines Gefängnisses verlegt wird. Bei der Anhörung am Dienstag, bei der keine Kameras zugelassen sein werden, wird über den Antrag des Paralympic-Stars entschieden, gegen Kaution freizukommen. Seine Anwälte müssen bis dahin nachweisen, dass es sich nach südafrikanischem Recht um Anschuldigungen der "Section 5" handelt, worunter schwere Verbrechen fallen. In diesem Fall kann Kaution gewährt werden. Hingegen würde eine Klassifizierung unter "Sektion 6" (extrem schwere Verbrechen) einen solchen Antrag nahezu aussichtslos machen.

Das Gericht hat zudem noch nicht bekannt gegeben, ob es die Anklage auf "vorsätzlichen Mord" zulässt. Falls der Sportler in diesem Punkt schuldig gesprochen wird, könnte er zu lebenslanger Haft verurteilt werden, bei der eine vorzeitige Entlassung äußerst unwahrscheinlich wäre.

Oscar Pistorius hatte sein Gesicht in den Händen verborgen, als die Staatsanwaltschaft die Anklage vortrug. Der südafrikanische Leichtathletik-Star, dem von Kindheit an beide Unterschenkel fehlen und der sich mithilfe von Karbonprothesen als Sprinter sechs Goldmedaillen bei Paralympischen Spielen erkämpfte, brach in Tränen aus. Er ließ sich auch von Richter Nair nicht beruhigen. "Er ist aufgewühlt, aber es geht ihm gut", hatte sein Anwalt zuvor gesagt.

Unmittelbar nach dem Gerichtstermin verbreitete Pistorius' Management mit der Familie eine gemeinsame Erklärung. Pistorius wolle der Familie des getöteten Models Reeva Steenkamp "sein tiefes Mitgefühl" übermitteln. Die Mordvorwürfe würden "auf das Schärfste" bestritten, heißt es in der von London aus verschickten Mitteilung. Es handele sich um eine "schreckliche, schreckliche Tragödie".

Über die Darstellung von Pistorius, wie es zu dieser Tragödie kommen konnte, gibt es noch keine bestätigten Angaben. Seit November sollen er und die blonde Reeva Steenkamp ein Paar gewesen sein. Fest steht bislang: Am frühen Donnerstagmorgen wurde die Polizei zu seinem Haus im Osten von Pretoria gerufen, wo Sanitäter erfolglos versuchten, das Model wiederzubeleben. Die 29 Jahre alte Frau war von vier Kugeln getroffen worden. Außer der Getöteten und dem Verdächtigen befand sich nach Angaben der Polizei zum Zeitpunkt der Schüsse niemand anderes im Haus. Eine Pistole vom Kaliber 9 mm wurde sichergestellt.

Zunächst hatte es geheißen, Pistorius habe seine Freundin für einen Einbrecher gehalten. Das Statement wurde aber nicht bestätigt. Offiziell teilte eine Polizeisprecherin mit, diese Information stamme nicht von der Polizei. Sie erwähnte eine nicht bestätigte Zeugenaussage, wonach es Schreie gegeben habe, bevor die Schüsse fielen. Zudem sprach sie von Zwischenfällen "häuslicher Art", die es in der Vergangenheit in Pistorius' Haus gegeben habe.

Binnen weniger Stunden distanzierten sich am Freitag viele Sponsoren von dem Sportler, der nicht nur in seinem Heimatland als Held gefeiert wurde und als erster Behindertensportler der Welt gilt, den seine Leistungen zum Millionär machten. In Südafrika ließ der private Fernsehsender M-Net Plakate mit dem Werbeträger abnehmen. Der Prothesenhersteller Ossur kündigte an, eine Entscheidung über die Fortsetzung des Sponsoren-Vertrags nach dem Verfahren treffen zu wollen. Der Sportartikelhersteller Nike stoppte eilig eine Werbekampagne mit Pistorius und nahm Plakate vom Markt, die den Sprinter in einem Startblock zeigen.

Allzu makaber klingen plötzlich Slogans wie: "I am the bullet in the chamber" (Ich bin die Kugel in der Kammer). Ein entsprechender Werbespot wurde von Pistorius' Homepage entfernt.