Medien in Holland nennen ihm „Dr. Frankenstein“ – in Heilbronn konnte er seit Jahren unentdeckt praktizieren. Jetzt flog er raus.

Heilbronn. Ein Krankenhaus in Heilbronn hat einen in den Niederlanden wegen Körperverletzung angeklagten Skandalarzt entlassen. Die Zusammenarbeit mit dem Mann sei mit Bekanntwerden der Vorwürfe am Freitag nach knapp zwei Jahren beendet worden, teilte der Geschäftsführer der SLK-Kliniken Heilbronn, Thomas Jendges, am Sonnabend mit. Er sei „überrascht und geschockt“ gewesen, als von niederländischen Medien von den Vorwürfen gegen den Neurologen erfahren habe. Er soll in den größten medizinischen Strafprozess in der Geschichte der Niederlande verwickelt sein. In Heilbronn soll der 67-Jährige jedoch keinen Schaden angerichtet haben.

Dem Mediziner wird in Holland schwere Körperverletzung in mindestens 21 Fällen vorgeworfen. Er soll von 1998 bis 2003 im Krankenhaus in Enschede bei Dutzenden Patienten unheilbare Krankheiten wie Alzheimer, Multiple Sklerose und Parkinson fälschlicherweise diagnostiziert haben. Sie waren zum Teil jahrelang mit schweren Medikamenten behandelt worden. Ein Patient habe Selbstmord begangen, nachdem ihm fälschlicherweise Alzheimer attestiert worden war. Bei mindestens 13 Patienten sollen aufgrund der falschen Diagnosen unnötig Gehirnoperationen ausgeführt worden sein. „Bei einem Mann wurde 12,5 Zentimeter Hirngewebe entfernt“, sagte Anwalt Yme Drost, der rund 200 mögliche Opfer vertritt.

2003 hatte das Krankenhaus in Enschede den Arzt entlassen, nachdem seine Abhängigkeit von Medikamenten bekannt worden war. Er soll auch Rezepte gefälscht und über 80 000 Euro veruntreut haben. Ein offizielles Disziplinarverfahren gab es nie. Unter Druck des Krankenhaus hatte der Arzt sich freiwillig aus dem Ärzteregister streichen lassen und darf daher seit 2006 nicht mehr in den Niederlanden praktizieren. Das Strafverfahren gegen den Mann ist ausgesetzt, da noch Zeugen aus Deutschland vernommen werden sollen.

Das Wichtigste ist für Jendges zunächst, dass der Mann im Südwesten nichts angerichtet habe: „Das Klinikum schließt derzeit mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit aus, dass Patienten in Heilbronn geschädigt wurden“, sagte Jendges. Als Assistenzarzt habe er immer unter der Aufsicht des Oberarztes oder des Chefarztes gearbeitet. Auch als Stationsarzt habe er keine Eingriffe vorgenommen oder für Patienten kritische Therapien eingeleitet.

Doch wie kam der Mann 2011 nach Heilbronn? Er sei der Klinik von einer Ärztevermittlungsagentur als Honorararzt angeboten worden, berichtete Jendges. Alle notwendigen Urkunden – einschließlich einer deutschen Approbation und einer Facharztanerkennung – hätten vorgelegen und keinen Anlass zur Skepsis gegeben. Der Mann habe zuvor schon an anderen deutschen Kliniken als Honorararzt gearbeitet. In einem Telefonat habe sich der Chefarzt bei einem Kollegen in Worms über den Mann informiert – jedoch nur über dessen Teamfähigkeit. Keines der drei deutschen Krankenhäuser habe vor der Beschäftigung des Mannes um Referenzen gebeten, sagte ein Sprecher des Medisch Spectrum Twente der niederländischen Nachrichtenagentur ANP.

Politiker, und Verbände von Ärzten und Patienten in den Niederlanden reagierten fassungslos: Es sei unvorstellbar, dass der Skandalarzt in Deutschland ungehindert praktizieren konnte. Hollands Gesundheitsministerin Edith Schippers wirft der Klinik in Heilbronn Nachlässigkeit vor: „Das Krankenhaus hätte seinen Namen nur ein Mal googlen müssen und dann hätten sie das große Elend gesehen“, sagte die rechtsliberale Ministerin. „Wenn ein renommierter Arzt als Assistent arbeiten will, dann würde ich denken, dass das stinkt.“

Die sozialdemokratische Regierungspartei forderte eine europäische schwarze Liste, um solche Fälle zu verhindern. Es sei für die Niederlande unmöglich gewesen, die deutschen Behörden vorher zu informieren, versicherte Schippers. Grund seien die strengen Datenschutzbestimmungen in Deutschland und die Zuständigkeit der Bundesländer.