Prozessbeginn wegen Katastrophe auf Bohrinsel “Deepwater Horizon“ mit elf Toten. Sucht der Konzern Sündenböcke?

Washington. Elf Arbeiter starben am 20. April 2010 auf der Ölplattform "Deepwater Horizon" im Golf von Mexiko, 17 wurden verletzt. 4,9 Millionen Barrel Öl strömten über einen Zeitraum von 87 Tagen ins Meerwasser. Die Schäden für Umwelt und Wirtschaft in der Region sind immens. Der Tourismus kam vorübergehend zum Stillstand, ein ganzes Jahr lang waren die Fischgründe gesperrt. Langzeitfolgen werden noch untersucht.

Don Vidrine, 65, und Robert "Bob" Kaluza, 63, könnten zu Gesichtern der Ölpest werden. Zweieinhalb Jahre nach der laut Weißem Haus "schlimmsten Umweltkatastrophe in der Geschichte der USA" müssen sich die einstigen BP-Angestellten auf der "Deepwater Horizon" in New Orleans in einem Strafprozess gegen den Vorwurf, fahrlässig Entscheidungen getroffen zu haben, verteidigen. Sie sollen alarmierende Testergebnisse, die immensen Druck auf den Bohrleitungen anzeigten, als "technische Irrtümer" ausgelegt haben. Das führte zu der verheerenden Explosion. Zehn Jahre Haft für jedes Todesopfer drohen den Angeklagten, falls das Gericht auf Totschlag befindet, acht Jahre pro Opfer, wenn es zur Verurteilung wegen fahrlässiger Tötung kommt. Ein weiteres Jahr Haft droht wegen Verseuchung des Meeres.

Aber handelte es sich wirklich um menschliches Versagen einzelner Manager? Oder müssen Sündenböcke geradestehen für strukturelle Fehler im Unternehmen und in der politischen Aufsicht über Offshore-Bohraktivitäten? Immerhin hatte BP erst Mitte des Monats ein grundsätzliches Schuldeingeständnis des Konzerns formuliert und die Zahlung der Rekordstrafsumme von 4,5 Milliarden Dollar über einen Zeitraum von sechs Jahren zugesagt. Hinzu werden private Kompensationen für Geschädigte kommen in einer Gesamthöhe bis zu 20 Milliarden Dollar.

Dennoch will die US-Regierung vorerst keine neuen Verträge mit BP abschließen. Sie ziehe damit die Konsequenz aus dem "Mangel an geschäftlicher Integrität", den die Firma nach der Explosion von "Deepwater Horizon" gezeigt habe, verkündete die Umweltbehörde EPA. Diese Entscheidung habe so lange Bestand, "bis das Unternehmen ausreichende Beweise dafür vorlegen kann, dass es die Geschäftsstandards der Regierung erfüllt".

An jenem 20. April 2010 sollte ein Bohrloch geschlossen werden, weil die Ölförderung dicht daneben fortgesetzt werden sollte. Kaluza war für die Vorbereitungen verantwortlich. Messungen und aufsteigende Gasblasen zeigten einen hohen Druck auf dem Rohr, durch das Bohrschlamm in das Loch gepresst wurde. Vidrine übernahm am Nachmittag die Verantwortung. Die Symptome am Bohrloch hatten sich nicht verändert. Beide Männer überlegten, ob defekte Ventile oder andere technische Gründe die Daten lieferten, die aus ihrer Sicht "keinen Sinn hatten". Sie verzichteten darauf, Experten in einem Kontrollzentrum um Rat zu fragen, die mit den Daten von der "Deepwater Horizon" versorgt wurden.

Schließlich gab Vidrine nach Darstellung der Staatsanwaltschaft die Anweisung, den Bohrschlamm zu entfernen. Der Chef des Bohrteams soll dagegen protestiert haben - vergeblich. Der gewaltige Druck führte zur Explosion.

Die Untersuchungen lieferten Hinweise darauf, dass Arbeiter gefeuert werden konnten, wenn sie durch die Betonung von Sicherheitsbedenken die Ölförderung verzögerten. Waren Vidrine und Kaluza einem ähnlichen Druck ausgeliefert, weil sie zwar das Kommando auf der Plattform hatten, aber sich gegenüber Vorgesetzten im Konzern wegen zu geringer Fördererträge hätten verantworten müssen?

Lange Zeit war es Praxis in den USA, bei solchen Katastrophen die Konzerne anzuklagen, aber auf die Ermittlung und Ahndung konkreter Verantwortungsträger zu verzichten. Von dieser Praxis, die Zeche für menschliches Versagen von den Firmen kompensieren zu lassen, scheint das Gericht in New Orleans abrücken zu wollen.

Die Anklagen waren erwartet worden, nachdem Vidrine und Kaluza ihre Mitwirkung bei der Aufarbeitung des Unglücks durch eine Senatskommission und staatliche Ermittler verweigert hatten. Vidrine berief sich auf gesundheitliche Probleme, Kaluza lehnte Aussagen ab, um sich nicht selbst zu belasten. Beide Verteidiger plädieren auf "nicht schuldig". "Die Regierung versucht der Öffentlichkeit einzureden, dass elf Männer starben", sagt Shaun Clark, einer der Anwälte von Kaluza, "weil zwei Leute auf einer Plattform einen Test fehlinterpretierten". Das aber sei "lächerlich".