Ein bekannter US-Neonazi wurde von seinem zehnjährigen Sohn erschossen. Wollte der Junge seine Familie schützen?

Los Angeles. Es gibt ein Foto, das zeigt Jeff Hall mit einer leicht abgeänderten Version der Stars and Stripes: Man sieht eine amerikanischen Flagge, auf der wie eine große schwarze Spinne ein Hakenkreuz prangt. Ein anderes Foto zeigt den 32-jährigen Jeff Hall in einer schwarzen Uniform mit Mütze, am Kragenspiegel erkennt man die gezackten Buchstaben "SS".

Wie ein strahlender Sieger sieht Jeff Hall auf keinem der Bilder aus: Gesichtsausdruck mürrisch, die Züge schwammig, auf dem einen Foto ist er auch noch unrasiert. Hall war ein Mitglied des NSM, des National Socialist Movement, einer amerikanischen Neonazipartei. Er war Klempner und arbeitslos. Und er ist tot: Vor eineinhalb Jahren hat ihn sein Sohn - dessen Name aus Gründen des Jugendschutzes nicht genannt wird - erschossen.

Jeff Hall machte am 1. Mai 2011 gerade ein Nickerchen auf dem Sofa, da hob sein Kind, das damals zehn Jahre alt war, einen Magnum-Revolver des Kalibers 357 und feuerte ihm mitten ins Gesicht. Jetzt steht der Junge im kalifornischen Riverside vor Gericht; dort verübte er seine Bluttat. Ein Richter muss herausfinden, ob er dabei Recht von Unrecht unterscheiden konnte.

Dieses Drama hat allerdings nicht nur zwei, sondern vier Mitwirkende. Außer dem Sohn und dem Vater ist da noch die Stiefmutter des Jungen, Krista F. McCary. Offenbar hatte sie ursprünglich die Tat auf sich genommen, um den Jungen zu beschützen, ihr Geständnis aber später widerrufen. Und dann hat der Junge noch eine kleine Schwester. Es sieht so aus, als habe er ihr am Tag vor der Tat, als die beiden auf einer Schaukel spielten, von seinem Vorsatz erzählt, den Vater umzubringen.

Staatsanwaltschaft Michael Soccio nennt es ein bloßes Ablenkungsmanöver, wenn davon geredet werde, dass das Opfer ein Neonazi war. "Dieser Junge ist nicht anders als andere Mörder", sagte er am Anfang der Verhandlung; es hätte keinen Unterschied gemacht, wenn sein Vater ein Mitglied der Friedens- und Freiheitspartei gewesen wäre. Schon an seinem ersten Tag im Kindergarten habe der Junge mit seinem Bleistift auf einen Lehrer eingestochen. Für diese Tat gebe es nur ein Motiv: Der Junge sei erzürnt gewesen, dass sein Vater die Stiefmutter verlassen und das Sorgerecht für die Kinder erlangen wollte. Er habe den Vater erschossen, um diese Entwicklung aufzuhalten.

Michael Soccio zeigte Fotos, die beweisen sollen, dass diese Familie sich nicht von anderen unterschieden habe - auf einem sieht man sie fröhlich am Strand. Pflichtverteidiger Matthew Hardy hielt dagegen: Der Junge sei in einem Klima der Gewalt aufgewachsen. Regelmäßig hätten im Haus Treffen des NSM stattgefunden, Waffen seien etwas Normales gewesen, auch Schläge hätten dazugehört. Einmal sei er an die Grenze mitgenommen worden, wo sein Vater und dessen Parteigenossen ihm zeigten, wie man Mexikaner daran hindert, in Amerika einzureisen.

Durch dieses Klima der Gewalt sei der Sinn des Jungen für Recht und Unrecht verzerrt worden. Er habe geglaubt, er werde zum Helden, wenn er seine Familie beschütze. Eigentlich sei aber die Stiefmutter - Krista F. McCary - für die Tat verantwortlich. Sie sei zornig gewesen, weil Jeff Hall sie wegen einer anderen Frau verlassen wollte. "Wir versuchen nicht zu suggerieren, sie habe ihn getötet", sagte Matthew Hardy dem Richter. "Sie hat diesen jungen Mann hier verwendet, um ihn zu töten."

Krista F. McCary, 27, machte vor Gericht die Aussage, der Junge, den sie wie einen Sohn liebe, sei sehr wohl imstande gewesen, Recht von Unrecht zu unterscheiden. Er habe häufig Temperamentsausbrüche gehabt und sei dann schwer kontrollierbar gewesen. Ihr Ehemann habe Drogen genommen und den Jungen mehr geschlagen als seine anderen Kinder. Und wenn er high war, sei die Familie in ein anderes Zimmer ausgewichen. Sie wollte die Ehe beenden, weil sie seine Stimmungsschwankungen nicht mehr ertragen konnte.

Die Staatsanwaltschaft zeigte ein Video von der Vernehmung des Jungen. Er sagte dabei aus, bei seiner Tat habe ihn eine Folge der Krimiserie "Criminal Minds" beeinflusst, die vom Fernsehsender CBS ausgestrahlt wird. "Criminal Minds" handelt von einer Einheit der Bundespolizei FBI, die sich mit Verhaltensanalyse befasst; häufig geht es dabei um Verbrechen von Erwachsenen an Kindern. "Ein böser Vater tat seinen Kindern etwas an, und das Kind tat genau das Gleiche wie ich - es erschoss ihn", erzählte der Junge im Verhör.

Im schlimmsten Fall wird der Junge eingesperrt, bis er 23 Jahre alt ist.