Ein Jahr nach dem Tod von BBC-Moderator Jimmy Savile kommen fast täglich neue Vorwürfe wegen Kindesmissbrauchs gegen ihn ans Licht.

London. Als Jimmy Savile vor gut einem Jahr mit 84 starb, trauerte Großbritannien. Tausende besuchten seinen mit Blumen geschmückten Sarg. Tagelang waren Titelseiten und Fernsehprogramme voll mit Berichten über den einstigen BBC-Kult-Moderator und vermutlich ersten DJ des Königreichs. Derzeit kann man der weißblonden Mähne und dem schrillen Kleidungsstil des Exzentrikers auf der Insel erneut kaum entgehen.

Doch diesmal ist alles anders: Der einstige Volksheld soll Jahrzehnte lang minderjährige Mädchen sexuell missbraucht und vergewaltigt haben, manche sollen erst 12 Jahre alt gewesen sein. Fast täglich melden sich neue Opfer. Bewiesen ist allerdings noch nichts.

Die Polizei hat eine Untersuchung begonnen, die BBC steht schwer in der Kritik. Auch generelle Fragen werden aufgeworfen – nach dem Umgang mit sexueller Befreiung in den sechziger und siebziger Jahren, nach Kultur und Machtverhältnissen am Arbeitsplatz, und ob so etwas heute wieder passieren könnte.

Die Zahl der mutmaßlichen Opfer, die sich innerhalb kurzer Zeit gemeldet hätten, sei „absolut erschreckend“, sagte Grant Shapps, Mitglied der Führungsspitze der konservativen Regierungspartei. Premierminister David Cameron warf die Frage auf, ob Savile sein Titel Sir aberkannt werden sollte, den ihm die Queen 1990 für sein soziales Engagement verliehen hatte. Die Polizei verfolgt weit mehr als hundert Ermittlungsstränge und geht von bis zu 30 Opfern aus. Der Missbrauch könnte sich über vierzig Jahre hingezogen haben.

Die BBC müsse in jedem Fall einige Fragen beantworten, forderten Shapps, andere Politiker und die Öffentlichkeit. Die altehrwürdige Einrichtung steht vor allem wegen zwei Punkten in der Kritik: Zum einen soll Savile seine Position als Moderator von BBC-Erfolgssendungen wie „Top of the Pops“ ausgenutzt haben. Zum anderen sollen Saviles Taten bei der BBC möglicherweise lange bekanntgewesen sein. Doch warum passierte anscheinend nichts, fragt sich nun die Öffentlichkeit.

So entschied sich die BBC noch Ende 2011, eine Dokumentation nicht auszustrahlen, die sich mit den Missbrauchsvorwürfen beschäftigte. Grund sollen journalistische Zweifel gewesen sein. Die BBC hat sich mittlerweile entschuldigt und eine Untersuchung angekündigt.

Savile soll keineswegs nur in Hinterzimmern von TV-Studios Kinder missbraucht haben, sondern möglicherweise auch in Krankenhäusern, Schulen und Heimen. Dort sammelte er Spenden. Savile, 1926 als jüngstes von sieben Kindern im englischen Leeds geboren, war für seinen Einsatz für den guten Zweck bekannt.

Krankenschwestern sollen seine Besuche gefürchtet und Kindern geraten haben, sich schlafend zu stellen. Die Polizei habe Bescheid gewusst, behaupten einige der Opfer. Wegen der Prominenz des mutmaßlichen Täters sollen sich viele machtlos gefühlt haben. Manche sagen auch, die Zeiten seien damals anders gewesen. Sexuelle Befreiung traf auf alte Geschlechterrollen und Machtstrukturen.

Heute stellt sich kaum noch jemand hinter Savile. Seine Familie hat seinen Grabstein im englischen Scarborough entfernen und zertrümmern lassen. Einige Freunde verteidigen ihn und verweisen auf sein unermüdliches soziales Engagement. Ende November will die Polizei einen Bericht zu Savile vorlegen – und die BBC kündigt an, aus dem Fall lernen zu wollen.