52-Jähriger ermordet Mitarbeiterin der Arbeitsagentur in Neuss. Sie ist Mutter eines zwei Jahre alten Sohnes.

Neuss. Der Notruf geht um 9.05 Uhr ein. Ein Mitarbeiter der Arbeitsagentur in Neuss (Nordrhein-Westfalen) informiert die Polizei, dass eine Kollegin an ihrem Arbeitplatz bedroht wird. Als die Beamten wenig später dort eintreffen, finden sie im Büro die schwer verletzte Sachbearbeiterin. Die 32-Jährige stirbt nach einer Notoperation im Krankenhaus – an den Folgen einer Messerattacke.

Der mutmaßliche Täter wird in unmittelbarer Nähe des Arbeitsamtes in der Innenstadt festgenommen. Zeugen haben die Ermittler auf den 52-Jährigen aus Neuss, der aus Marokko stammen soll, aufmerksam gemacht. Fest steht bisher, dass der Mann gestern ohne Termin zu seiner Sachbearbeiterin gekommen ist, sagt Staatsanwältin Britta Zur. Dann hat er im Büro des Opfers zugestochen. „Wir wissen, dass Täter und Opfer allein im Zimmer waren. Das bedeutet, dass wir keine unmittelbaren Zeugen haben“, sagte Zur. Es gebe keine Anhaltspunkte dafür, dass sich beide privat gekannt hätten. Die Frau, die seit vier Jahren in der Agentur gearbeitet hat, hinterlässt einen kleinen Sohn im Alter von zwei Jahren.

Der Tatverdächtige wurde am Mittwoch von der Polizei vernommen. Sie ließ offen, ob er vorher schon durch andere Straftaten aufgefallen war. Über sein Motiv wurde bisher nichts bekannt. Die Mordkommission ermittelt. Am heutigen Donnerstag wollen Polizei und Staatsanwaltschaft weitere Informationen bekannt geben.

Die Mitarbeiter des Jobcenters, das noch bis morgen geschlossen bleibt, sind entsetzt. „Wir sind alle tief betroffen“, sagte eine Sprecherin der Arbeitsagentur. Die 15 Mitarbeiter, die die Bluttat zum Teil mitansehen mussten, stehen unter Schock und werden von Notfallseelsorgern betreut.

Der Arbeitsminister von Nordrhein-Westfalen, Guntram Schneider, verurteilte die Tat und sprach den Angehörigen des Opfers im Namen der Landesregierung sein tiefes Beileid aus. „Diese Tat ist durch nichts zu rechtfertigen, weder durch eine schwierige private noch berufliche Situation“, betonte Schneider, der sich vor Ort ein Bild von der Lage gemacht hatte. Nicht nur dieser Angriff zeige, welchem Druck und welchen Spannungen die Beschäftigten von Jobcentern ausgesetzt seien.

An- und Übergriffe auf Mitarbeiter von Arbeitsagenturen nehmen zu

Auch Heinrich Alt, Vorstand der Bundesagentur für Arbeit (BA), zeigte sich entsetzt. „Nichts, aber auch gar nichts, rechtfertigt eine solche Handlungsweise“, erklärte er in Nürnberg. Alle Sicherheitsmaßnahmen könnten einen solchen Vorfall leider nicht verhindern. „Unsere Mitarbeiter können sich nicht hinter Schutzglas verschanzen. Wir brauchen eine Vertrauensbasis mit unseren Kunden, dazu müssen wir eine offene Behörde sein.“ Einige Jobcenter und Arbeitsagenturen beschäftigen bereits externe Sicherheitsdienste, die im Falle eines Konflikts einschreiten können. Die Bundesagentur bietet ihren Mitarbeitern auch spezielle Deeskalationstrainings an.

Die Messerattacke in Neuss ist der zweite tödliche Zwischenfall in einem Jobcenter der vergangenen Jahre. Im Februar 2001 erstach ein 46 Jahre alter Langzeitarbeitsloser den Direktor des Arbeitsamtes in Verden (Niedersachsen). Die Behörde hatte ihm zuvor die Unterstützung gestrichen. An- und Übergriffe auf Beschäftigte von Jobcentern nähmen zu, stellte die Deutsche Polizeigewerkschaft in Nordrhein-Westfalen fest. Bei einer Befragung von 500 Mitarbeitern im Jahr 2009 habe jeder Vierte angegeben, Opfer eines Übergriffs gewesen zu sein. Anlass sind häufig ablehnende Bescheide in Hartz-IV-Verfahren. Die komplizierte und oft schwer durchschaubare Gesetzeslage provoziere Wut und Verzweiflung. Wenn es um die Existenz gehe, dann seien Kurzschlusshandlungen kaum vorhersehbar.