Der Vater von Sarah muss sich vor dem Landgericht Nürnberg-Fürth verantworten. Die Mutter ist wegen einer Erkrankung nicht verhandlungsfähig.

Nürnberg. Schützend hält sich Patrick R. einen Aktenordner vors Gesicht, als er den Schwurgerichtssaal im Nürnberger Justizgebäude betritt und von Kamera- und Fotografenteams belagert wird. Der 30-Jährige muss sich seit Dienstag vor dem Landgericht Nürnberg-Fürth für den Hungertod seiner dreijährigen Tochter Sarah verantworten. Ursprünglich sollte er die Anklagebank mit seiner Ehefrau Angela teilen , denn beiden wirft die Staatsanwaltschaft gemeinschaftlichen Mord und Misshandlung von Schutzbefohlenen vor. Weil Angela R. jedoch an Krebs erkrankt und bis auf weiteres nicht verhandlungsfähig ist, wurde das Verfahren gegen sie am Freitag vorübergehend eingestellt.

Nun muss sich der 30-Jährige den Vorwürfen alleine stellen. Laut Anklageschrift haben er und seine Ehefrau schon lange vor Sarahs Tod damit aufgehört, sich um ihr Kind ausreichend zu kümmern. Im Alter von über zwei Jahren habe das Mädchen noch nicht laufen können, spätestens seit April 2009 soll es kaum mehr etwas zu essen und zu trinken bekommen haben. Erst als die Kleine am Abend des 8. August kein Lebenszeichen mehr von sich gab, haben die Eltern den Notarzt alarmiert. Der brachte Sarah in ein Krankenhaus nach Nürnberg, wo sie am 10. August 2009 starb.

Patrick R. starrt mit leerem Blick auf den Tisch vor sich, als die Staatsanwältin die Anklage verliest. Die Vorwürfe nimmt der übergewichtige Mann mit den kurzen dunkelblonden Haaren weitgehend regungslos hin. Erst als Ärzte, Sanitäter und Polizisten vor Gericht den schrecklichen Zustand der kleinen Sarah und die vermüllte und stinkende Wohnung der Familie im mittelfränkischen Thalmässing beschreiben, blickt er immer wieder schüchtern zur Richterbank.

Von dem schlechten Zustand seiner Tochter will Patrick R. nichts mitbekommen haben. Zwar verweigerte der 30-Jährige zum Prozessauftakt jede Aussage. Bei der Polizei hatte der Lastwagenfahrer jedoch erklärt, wegen seines Berufes nur wenig zu Hause gewesen zu sein. Um die Erziehung von Sarah und ihrem älteren Halbbruder Dominik, der aus einer früherem Beziehung der 27-Jährigen hervorging, habe sich seine Frau gekümmert.

Wohnung war vermüllt und stank

Polizisten und Rettungssanitäter, die später Zugang zur Wohnung der Familie hatten, beschrieben den Haushalt als unordentlich und schmutzig. „In der Wohnung war ein bestialischer Geruch“, schilderte ein Polizeibeamte vor Gericht. Das Katzenklo sei voller Exkremente gewesen, der Aschenbecher gefüllt mit Zigarettenkippen. Im Badezimmer sei feuchte Wäsche in Säcken aufbewahrt worden und zum Teil schon vermodert gewesen. „Wir mussten die Fenster öffnen, weil es unerträglich für uns war“, sagte er. Auf dem Dachboden hätten die Beamten auch ein totes Zwergkaninchen gefunden. Die beiden Katzen im Haushalt seien dagegen gut genährt gewesen.

Das Zimmer der verhungerten Sarah sei ebenfalls unordentlich gewesen. Auf dem Boden hätten sie Kotreste und Windelfetzen gefunden. Laut Gerichtsmediziner war im Magen des toten Mädchens Füllmaterial aus seinen Windeln gefunden worden. In seiner Verzweiflung hatte das Mädchen offensichtlich versucht, seinen Hunger damit zu stillen.

Der Notarzt, der Sarah ins Krankenhaus einlieferte, schilderte, wie er am Abend des 8. August in die Wohnung kam und Sarahs Mutter mit dem völlig leblosen und ausgemergelten Kind auf der Wohnzimmercouch gesessen habe. „Ich dachte mir sofort: Da stimmt was nicht“, sagte der 46-Jährige. Er habe die Mutter nach dem Grund für den verwahrlosten Zustand ihres Kindes befragt, das sehr stark nach Urin gerochen habe. Sie habe ihm aber keine einzige vernünftige Antwort gegeben.