Anführerin Ann W. und ihre Komplizen hielten mehrere geistig Behinderte sowie verwahrloste Kinder in einem Keller in Philadelphia gefangen.

Philadelphia. Ein geistig behinderter Mann angekettet an einen Boiler. Eine behinderte Frau mit ausgeschlagenen Zähnen. Eine unterernährte Nichte mit Brand- und Schusswunden. Ein zweijähriges Kind mit dem Gewicht eines Babys. Das sind einige der Opfer einer mutmaßlichen Verbrecherbande, die in den USA hilflose und behinderte Menschen wegen deren Sozialhilfe gefangen gehalten und gefoltert haben soll. "Was ich gehört habe, was mir beschrieben wurde, ich bin nicht sicher, ob das Wort entsetzlich das angemessen beschreibt", sagte der Bürgermeister von Philadelphia, Michael Nutter, am Mittwoch.

Die vier erwachsenen Opfer wurden am Sonnabend im Kellerraum eines Mehrfamilienhauses gefunden. Sie haben offenbar die geistigen Fähigkeiten eines zehnjährigen Kindes. Einer von ihnen sagte, er habe die mutmaßliche Anführerin Ann W. über eine Partnervermittlung im Internet kennengelernt. Die 51-jährige W. und drei Komplizen, darunter ihre Tochter, werden der Entführung, Körperverletzung und anderer Straftaten beschuldigt. Ihre Kaution wurde auf 2,5 Millionen Dollar festgelegt.

Unklar ist, wie W. die anderen behinderten Erwachsenen kennenlernte, die gefunden wurden. Eine von ihnen brachte in den vergangenen Jahren möglicherweise mehrere Kinder zur Welt. Die Behinderten wurden im Krankenhaus behandelt und danach den Sozialbehörden übergeben. Acht Kinder und vier junge Erwachsene, die mit den Beschuldigten in Beziehung stehen, wurden vorsorglich ebenfalls in Obhut genommen. Sie wurden in mehreren Wohnungen in Philadelphia aufgefunden.

Unter ihnen war auch die 19-jährige Beatrice W., eine Nichte von Ann. Sie war nach Polizeiangaben tagelang in einem Schrank eingeschlossen. Die Beamten forderten die Medien auf, Beatrice in Ruhe zu lassen. "Ich habe noch nie ein Opfer mit schwereren Verletzungen gesehen", sagte Polizeichef Charles Ramsey. "Das Mädchen wurden geschlagen, misshandelt. Man möchte weinen, wenn man sie sieht."

Beatrice ist möglicherweise die Nichte, die nach Angaben von Nachbarn mit Anne W., dem Komplizen Gregory T. und den vier Kindern des Paares von 2003 bis 2005 im Nordosten von Philadelphia lebte. Die Nachbarn schalteten die Polizei und das Jugendamt ein, weil die Erwachsenen die Kinder anbrüllten und beschimpften und die Kinder spät in der Nacht noch draußen waren. Sie glauben auch, Schläge gehört zu haben. Allerdings sei nichts geschehen, erklärten die Nachbarn.

Verurteilung wegen Mordes in den 80ern

Nach zwei Jahren wurde die Familie wegen Mietrückständen zwangsgeräumt. Die Nachfolgemieterin erhielt weiterhin Briefe von den Sozialbehörden, die an W. und ihren Partner gerichtet waren. Die Mieterin meldete den Behörden, dass die Angeschriebenen verzogen seien - ohne Erfolg, die Briefe kamen weiter. Einmal sei die Polizei gekommen, um einer Vermisstenanzeige nachzugehen, sagte die Mieterin. Sie habe die gesuchte Person jedoch nicht gekannt. Hinweise auf weitere Ermittlungen der Polizei gibt es nicht.

Die Beschuldigten, darunter auch Ann W.s 32 Jahre alte Tochter Jean M., sollen am Montag erstmals dem Gericht vorgeführt werden. Ann W. wurde in den frühen 80er Jahren gemeinsam mit einer Schwester wegen Mordes verurteilt. Sie schloss damals den Freund ihrer Schwester wochenlang in einem Schrank ein, bis er verhungerte. Ihre Tochter ist wegen Betrugs den Behörden bekannt. Ihr Sohn und ihre Tochter im Teenager-Alter wurden im Mittwoch vorsorglich in Obhut der Behörden genommen, kurz nachdem sie als Verdächtige in dem Fall festgenommen worden war.

Die Behörden in Virginia bestätigten unterdessen, dass eine Frau aus Philadelphia 2008 in W. gemietetem Haus in Norfolk starb. Die 39-Jährige litt an Meningitis, war dem Totenschein zufolge aber auch stark abgemagert. W. räumte das Haus, nur wenige Stunden, nachdem sie den Todesfall gemeldet hatte. "Niemand war da. Sie haben alles zurückgelassen", sagte der Vermieter Mohammad Zarandi. "Der Fernseher lief noch." W. war erst sechs Wochen zuvor mit drei Frauen eingezogen. Sie hatte Zarandi erzählt, sie habe die Vormundschaft für die Frauen. Wohin sie mit den Überlebenden danach verschwand, ist unklar.

Flucht vor Behörden und Vermietern

Allein im vergangenen Jahr reiste Ann W. mit den vier behinderten Erwachsenen von Killeen im US-Staat Texas nach West Palm Beach in Florida und von dort nach Philadelphia. Die Polizei vermutet, dass die Gruppe auf der Flucht vor den Behörden und Vermietern war, die vor Gericht ausstehende Miete einklagen wollten.

Am 3. Oktober trafen sie in der Wohnung der Tochter Jean M. in Philadelphia ein. Nachbarn sahen, wie sie in der Nacht mehrere Erwachsene aus einem Auto holten. Wenig später veranstaltete die Gruppe einen Flohmarkt vor dem Haus. Den Nachbarn fiel auf, dass Ann W. die Behinderten mit scharfen Worten herumkommandierte.

Bellende Hunde führten den Vermieter schließlich in den winzigen Kellerraum, in dem die Erwachsenen festgehalten wurden. Sie waren so geschwächt, dass sie nur mit Hilfe der Polizisten die Stufen hinaufgehen konnten.

Die Beamten fanden bei den Verdächtigen Sozialversicherungsunterlagen und Vollmachten von rund 50 Menschen. Bisher ist nicht bekannt, wie viele Opfer es noch gab und um wie viel Geld es geht. Die Polizei glaubt aber, alle Kinder und Jugendlichen, für die eine Gefahr bestand, gefunden zu haben.

"Wir versuchen noch, die vielen Komponenten dessen herauszufinden, was ich als ein schrecklich verwobenes Netz des Schreckens beschreiben würde", sagte Bürgermeister Nutter.