Die Hollywood-Legende und Sängerin Doris Day veröffentlicht mit 87 Jahren eine neue CD - als Hommage für ihren toten Sohn Terry Melcher.

Carmel-by-the-Sea. Es gibt wohl keinen nostalgischeren Ort in den USA als die kalifornische Kleinstadt Carmel-by-the-Sea. Deren Einwohner wehren sich nämlich so vehement gegen den Fortschritt, dass es bis heute keine Briefkästen, Straßenlaternen und in vielen Gegenden auch keine Bürgersteige gibt. Man trifft sich und seine Nachbarn zum Plausch im örtlichen Postamt. Heute könnte man Clint Eastwood oder Brad Pitt dort antreffen. Oder Doris Day . Vielleicht würde man die inzwischen 87-Jährige noch nicht einmal erkennen, denn seitdem sie sich Ende der 60er-Jahre aus dem Film- und Musikgeschäft zurückgezogen hat, existieren fast keine neuen Bilder von ihr.

Doris Day ist ein Phantom. Man kann sie hören, aber nicht sehen

Seit über 30 Jahren lebt Doris Day zurückgezogen in der Abgeschiedenheit gemeinsam mit ihren Haustieren. Umso überraschender, dass sie nach 17 Jahren ein neues Album herausbringt. "My Heart" ist das Werk eines Phantoms - man kann Doris Day zwar hören, aber nicht sehen. Die meisten Songs hat sie in den 80er-Jahren aufgenommen, auch das Cover zeigt kein aktuelles Bild. Es scheint, als wollte die Hollywood-Legende ihrem Publikum so in Erinnerung bleiben, wie es sie bei ihrem Rückzug aus dem Filmgeschäft 1985 kannte: charmant, strahlend, faltenfrei. Die Lieder sind schmusig wie Samt, die Stimme von Doris Day wie eine wärmende Decke. Sie singt Cover-Versionen wie Joe Cockers "You are so beautiful" oder "Disney Girls" von den The Beach Boys. Aus ihrem Mund klingt alles so leicht und beschwingt wie ihre unvergesslichen Liebeskomödien.

+++Blonde Verführung mit sauberem Sex-Appeal+++

Eine Ausnahme ist die Ballade "My Buddy", ein Song, den sie erstmals im Film "In all meinen Träumen bist du" (1952) sang. Diesen widmet sie ihrem Sohn Terry Melcher, der 2004 mit 62 Jahren an Krebs starb. Melcher hatte seine Mutter überzeugt, ein neues Album aufzunehmen und die Songs für "My Heart" produziert. Jetzt, sieben Jahre nach seinem Tod, veröffentlicht sie das Album als Hommage an ihn.

Der Name Doris Day steht eigentlich für ein Sauberfrau-Image. Zwar kämpfte Day nie offen gegen dieses an, gerecht wird ihr das Bild von der charmanten Männer-Staffage allerdings auch nicht, denn auf deren Unterstützung konnte Doris Day zeitlebens nicht bauen. Ihr erster Mann war gewalttätig, der zweite eifersüchtig auf den Erfolg seiner Gattin und der dritte verspekulierte ihr komplettes Vermögen. Day, die mit bürgerlichem Namen Doris Mary Ann Kappelhoff heißt, musste früh lernen zu kämpfen. Als drittes Kind einer deutschen Einwandererfamilie wuchs sie im ländlichen Cincinnati auf, ihre Großväter stammen aus dem niedersächsischen Warendorf und Ötigheim in Baden-Württemberg. Eigentlich wollte sie Tänzerin werden, brach sich aber bei einem Zugunfall mit 14 Jahren beide Beine.

Sie fängt an zu singen, um sich selbst aufzumuntern, versucht sich im Teeniealter als Entertainerin in Bars und benennt sich in Doris Day um, nach dem Song "Day after Day". Mit 17 bringt sie ihren Sohn Terry zur Welt, drei Jahre später landet sie mit "Sentimental Journey" ihren ersten Nummer-eins-Hit als Sängerin.

Sie arbeitet mit Frank Sinatra und Bob Hope zusammen und mausert sich zur erfolgreichen Künstlerin. 1946 wechselt Doris Day zur Schauspielerei und unterschreibt ihren ersten Filmvertrag bei Warner Brothers. In den 50er- und 60er-Jahren ist Day ein Garant für volle Kinokassen und dreht fast 40 Filme. Ihre Paraderolle der organisierten Sauberfrau wird ihr dabei langsam zum Verhängnis. Während auf den Straßen die Frauen in Miniröcken für sexuelle Selbstbestimmung demonstrieren, wirken Doris Days Filmrollen bieder und rückständig.

Nach ihrem Ausstieg aus dem Filmgeschäft wird sie Tierschützerin

Als 1968 ihr dritter Ehemann Martin Melcher stirbt, stellt sich nicht nur heraus, dass er das Vermögen von Day verspekuliert, sondern sie auch vertraglich für eine Fernsehserie verpflichtet hatte. Fünf Jahre spielt sie in der Sitcom "The Doris Day Show" und erklagt sich zehn Millionen Dollar ihres Vermögens von ihrem ehemaligen Anlageberater zurück. Bis 1986 tritt sie sporadisch in Fernsehshows auf, die Lust auf ein Leben in der Öffentlichkeit hat sie da schon lang verloren. Danach widmet sich Day komplett dem Tierschutz und verschwindet in der Abgeschiedenheit ihres Zuhauses in Carmel. Es ist weniger ein Rückzug als eine Rückkehr, die mit "My Heart" ihr Ziel erreicht hat. Zurück auf das Land und zurück zur Musik, mit der alles begann. Ob man sie nun sehen kann oder nicht: Es ist schön, wieder einmal von ihr zu hören.

Bilder der unvergessenen Doris Day sehen sie auf www.abendblatt.de/doris