EU-Inspektoren klagen darüber, dass sich zwei Jahre nach dem letzten Notstand “nichts geändert“ hat. Berlusconi machte das Problem zur Chefsache.

Neapel. Eine der schönsten italienischen Städte ertrinkt wieder einmal im Müll. In weiten Teilen der Innenstadt von Neapel tragen Mütter ihre Kinder auf dem Weg zur Schule im Arm, damit die Kleinen nicht durch den Unrat waten müssen. Dass Abfall auch in Süditalien entsorgt werden kann, zeigt unterdessen die Nachbarstadt Salerno, in der knapp zwei Drittel der Abfälle recycelt werden.

Zwei Jahre, nachdem Ministerpräsident Silvio Berlusconi, 74, die neapolitanische Müllkrise zur Chefsache machte, habe sich "nichts geändert", stellen Inspektoren der Europäischen Union fest. "Diesmal wollen wir nicht nur einen Plan sehen, sondern auch seine Umsetzung", sagt die Leiterin der Delegation, Maria Pia Bucella. Während sie und ihre Kollegen die einzige, aber dennoch nicht auf vollen Touren laufende Verbrennungsanlage der Region besucht, beantwortet der Präsident der Provinz, Luigi Cesaro, die Frage, wie die Krise zu bewältigen sei, mit einem klaren "Ich habe keine Ahnung".

Politiker geben sich gegenseitig die Schuld am erneuten Notstand in der dicht besiedelten Region, während Touristen Müllberge anstatt der malerischen Bucht von Neapel fotografieren . Tüten, aus denen sich der Abfall auf das Pflaster ergießt, verdecken mittlerweile die Schaufenster in der Shopping-Meile Via Toledo. Die Stadt war auch zu rosigeren Zeiten nie wirklich sauber. Irgendwo liegen immer schwarze Säcke am Straßenrand und warten auf die Müllabfuhr. Dennoch erklärte Berlusconi das Problem insgesamt siebenmal für gelöst. Nun soll das Heer das Thema zum achten Mal erledigen. "Wir denken an den Einsatz von Soldaten zur Bewältigung des Notstands in den nächsten zwei Monaten", sagte Verteidigungsminister Ignazio La Russa gestern.

Erst im vergangenen März hatte die EU Italien wegen der letzten Müllkrise von 2008 verurteilt. Eine halbe Milliarde Euro Finanzhilfen sind seitdem eingefroren. Weitere Sanktionen würden Investitionen in Recycling und den Bau von Verbrennungsanlagen jedoch nur behindern, beschwört der Gouverneur der Region Kampanien, Stefano Caldoro, die Brüsseler Inspektoren. Er hege durchaus Verständnis dafür, wenn die kritische Lage der vergangenen Tage Anlass zur Sorge auch außerhalb Italiens gebe. Durch die Verteilung der Abfälle auf die umliegenden Provinzen sei die Krise jedoch in den Griff zu kriegen. Durch diesen Schritt habe die Region bewiesen, "dass das System funktioniert und Kampanien unabhängig ist".

Insgesamt 8000 Tonnen Abfälle in Neapel und Provinz erwecken allerdings nicht den Eindruck, dass die Region das Problem aus eigener Kraft lösen kann. Nach gewaltsamen Protesten gegen die Öffnung neuer Mülldeponien strich die Regierung in Rom die betroffenen Orte wieder von ihrer Liste. Per Dekret verfügte sie den Bau neuer Verbrennungsanlagen. Erst nach einer Protestnote von Staatspräsident Giorgio Napolitano ließ sie diesem eine Zusammenfassung des Textes zukommen, der ohne Napolitanos Billigung nicht in Kraft treten kann.

Über die darin vorgesehenen Müllverbrennungsanlagen ist bereits vor der (noch ausstehenden) Unterzeichnung durch den Staatspräsidenten ein heftiger Streit in der Regierungspartei "Volk der Freiheit" entbrannt. Parteivertreter aus Provinz und Region buhlen gleichermaßen um die lukrativen Bauaufträge für die geplanten Anlagen.

Wer in Neapel keinen Müllhaufen vor der Tür möchte, lässt mittlerweile kleine Madonnenaltäre am eigenen Haus anbringen. Aus Respekt vor der Muttergottes werden die betreffenden Fassaden vom Müll verschont.