Ministeriumssprecher bestätigt zwar Explosionen in dem Versteck des mutmaßlichen Attentäters. Diese seien aber nur zur Einschüchterung gedacht.

Toulouse/Paris. Die Polizei in Toulouse hat nach Angaben des französischen Innenministeriums doch nicht mit der Erstürmung des Verstecks des mutmaßlichen Attentäters begonnen. Es habe zwar Explosionen in dem Wohnhaus gegeben, teilte das Ministerium am frühen Donnerstagmorgen mit. Diese seien aber dazu gedacht, den Verdächtigen einzuschüchtern. „Es gibt keine Erstürmung.“ Der Mann habe offensichtlich seine Meinung geändert und wolle nicht aufgeben, sagte Ministeriumssprecher Pierre-Henry Brandet.

Zuvor hatte es in Polizeikreisen geheißen, die Erstürmung des Verstecks habe begonnen. Kurz vor Mitternacht waren vor Ort drei Explosionen zu hören. Ein Mitarbeiter der Polizei hatte der Nachrichtenagentur Reuters gesagt, die Tür zu der Wohnung des Mannes sei aufgesprengt worden.

„Er sagte, er wolle sich stellen, er hat seine Meinung geändert, wir erhöhen den Druck auf ihn“, erklärte auch ein weiterer Spezialist der Nachrichtenagentur AFP.

Der mutmaßliche Todesschütze wollte sich nach Angaben von Innenminister Claude Guéant in der Nacht der Polizei stellen. Die Verhandlungen zwischen dem Verdächtigen und den Beamten dauerten am Mittwochabend an, sagte Guéant der Rundfunkanstalt France-2. Unter anderem habe der Mann „Bedingungen für seine Kapitulation“ gestellt. „Er sagte, er wolle aufgeben, aber er wolle es in der Nacht tun“, sagte der Innenminister. „Er will in der Nacht aufgeben, weil das weniger Aufmerksamkeit erregt.“ Die Polizei sei angewiesen worden, den Verdächtigen lebend zu fassen, „um ihn vor Gericht zu stellen, damit der Gerechtigkeit Genüge getan wird“, sagte Guéant.

Der französische Verteidigungsminister Gérard Longuet sagte hingegen dem Fernsehsender BFMTV, die Belagerung des Hauses, in dem der 23-Jährige sich verschanzt habe, könne noch die Nacht hindurch dauern. „Noch Tage – nein. Es gibt eine körperliche, nervliche Ermüdung“, sagte Longuet. Er unterstrich das Ziel der Sicherheitskräfte, Merah lebend zu ergreifen, um ihn vor Gericht stellen zu können und seine Motive zu ergründen.

Die französische Polizei hat ihn nach dem Attentat auf eine jüdische Schule in Toulouse aufgespürt und sich mit dem Islamisten eine Schießerei geliefert. Nach stundenlanger Belagerung eines Mehrfamilienhauses in der südfranzösischen Stadt zeichnet sich aber auch am Mittwochabend kein Ende der Konfrontation mit dem 24-Jährigen ab, der nach eigenem Bekunden im Namen von Al-Kaida handelte. Offensichtlich setzen die Elitepolizisten darauf, dass der Mann irgendwann erschöpft aufgibt oder mit wenig Risiko überwältigt werden kann.

Die Elitepolizisten hatten mehrere Male vergeblich versucht, in Merahs Wohnung einzudringen. Jedes Mal drängte er sie mit Schüssen aus schweren Waffen zurück. Ein Beamter erlitt einen Knieschuss, einen zweiten getroffenen Polizisten bewahrte seine schusssichere Weste vor schweren Verletzungen. Im Tagesverlauf brachte die Polizei alle anderen Hausbewohner in Sicherheit, nachdem sie zuvor auf eine Evakuierung zunächst verzichtet hatte. Das umstellte Gebäude befindet sich in einem ruhigen Wohnviertel der südfranzösischen Stadt.

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Nach Angaben der Staatsanwaltschaft plante Mohamed Merah weitere Anschläge auf einen Soldaten und zwei Vertreter der Polizei. Der Franzose algerischer Herkunft gab Auslandseinsätze der französischen Armee und Rache für den Tod palästinensischer Kinder als Motiv an. Psychologen versuchten, den Mann zur Aufgabe zu bewegen.

Mehrere Personen aus seinem Umfeld wurden festgenommen, darunter waren die beiden Schwestern und Brüder sowie die Mutter des Mannes. Ein Bruder sympathisiere mit den extremistischen Salafisten, die Mutter habe seit längerem wegen ihrer Nähe zu radikalen Salafisten unter Beobachtung gestanden, sagte Innenminister Claude Guéant. Er betonte jedoch, dass der Verdächtige bei seinen Taten allein gehandelt habe. Die Geheimdienste hätten ihn schon seit längerem beobachtet.

Merah wird vorgeworfen, für das Attentat am Montag verantwortlich zu sein. Dabei wurden drei Kinder und ein Lehrer erschossen. Außerdem steht er im Verdacht, drei Fallschirmjäger erschossen zu haben, die wie er aus Nordafrika stammten. Bei einer Trauerfeier für die Soldaten in einer Kaserne in der Stadt Montauban rief Präsident Nicolas Sarkozy die Franzosen zur Geschlossenheit auf. Dies schuldeten die Bürger den Opfern. Das Staatsoberhaupt sprach im Zusammenhang mit den Anschlägen auf die Soldaten von einer „terroristischen Exekution“.

Das Haus in Toulouse wurde den ganzen Tag über von Hunderten Polizisten belagert. Innenminister Claude Gueant erklärte, der 24-jährige Merah habe eine Uzi-Maschinenpistole, ein Kalaschnikow-Sturmgewehr und weitere Waffen bei sich. Im Tausch gegen ein Mobiltelefon habe der Verdächtige aber eine großkalibrige Pistole abgegeben. Eine Waffe dieser Art wurde bei allen drei Anschlägen verwendet.

Die Polizei brachte die Bewohner des Hauses in Sicherheit. Das Auto Merahs wurde kontrolliert gesprengt, nachdem Ermittler feststellten, dass das Fahrzeug mit Waffen beladen war. Die Freundin und der Bruder – den Behörden ebenfalls als radikaler Islamist bekannt – wurden festgenommen. Auf die Spur Merahs kam die Polizei über den Internetanschluss seiner Mutter. Der Mann gab an, von einem Soldaten, der später sein Opfer wurde, ein Motorrad kaufen zu wollen.

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Staatsanwalt Francois Molins sagte, Merah bereue lediglich, nicht noch mehr Zeit gehabt zu haben, um Menschen umzubringen. „Und er gibt damit an, Frankreich in die Knie gezwungen zu haben“, berichtete der Ermittler in Paris. Merah sagte demnach mehrfach zu, sich noch am Mittwochabend zu ergeben.

Der Mann war wegen Reisen nach Afghanistan und Pakistan schon länger im Visier der Sicherheitsbehörden. Nach Angaben der afghanischen Behörden wurde der Islamist im Jahr 2007 in Afghanistan festgenommen, weil er Bomben gelegt haben soll. Er sei aber bei einer Massenflucht im darauffolgenden Jahr aus dem Gefängnis entkommen, sagte der Direktor des Gefängnisses von Kandahar, Ghulam Faruk. Während in Geheimdienstkreisen diese Information bestätigt wurde, widersprach die Provinzregierung von Kandahar dieser Darstellung.

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Die Anschläge wurden mitten im Präsidentenwahlkampf verübt und dürften dessen weiteren Verlauf bestimmen. Der in Umfragen hinter seinem sozialistischen Herausforderer Francois Hollande liegende Konservative Sarkozy hat versucht, mit den Themen Zuwanderung und Fundamentalismus zu punkten und damit der Rechtsextremistin Marine Le Pen Wähler streitig zu machen. Zwischen Sarkozy und Hollande ist vor allem der Einsatz in Afghanistan strittig. Der Sozialist will den französischen Einsatz dieses Jahr, Sarkozy aber erst 2013 beenden.

In Jerusalem wurden unterdessen der Rabbiner Jonathan Sandler, seine vier und fünf Jahre alten Söhne sowie die siebenjährige Tochter des Schulleiters gemäß orthodoxem Brauch beigesetzt. An der Trauerzeremonie nahmen auch der israelische Parlamentspräsident Reuben Rivlin und der französische Außenminister Alain Juppe teil. „Ganz Israel weint wegen dieser Morde“, sagte Rivlin. Juppe sicherte Israel die Solidarität Frankreichs zu.

Mit Material von dpa, rtr und dapd