Hollywoodfilme, Auktion und Besuche am Wrack zum 100. Jahrestag des Untergangs

London. Mehr als 1500 Menschen ertranken im Nordatlantik, als die "Titanic" in der Nacht zum 15. April 1912 einen Eisberg rammte und unterging. Doch den wenigsten dürfte bekannt sein, dass die Tragödie 30 Jahre später ein weiteres Todesopfer forderte: In einer Berliner Gestapo-Zelle erhängte sich der deutsche Filmregisseur Herbert Selpin. Er hatte sich den Zorn von Hitlers Propagandaminister Joseph Goebbels zugezogen, in dessen Auftrag er den Untergang des Luxusliners als antibritisches Leinwandspektakel verfilmen sollte. Aber Selpin tat sich schwer mit der Englandfeindlichkeit. Er äußerte sich abfällig über die Wehrmacht und die deutsche Marine. Am Dienstag berichtete die britische TV-Doku "Nazi Titanic", dass ihn sein Drehbuchautor denunziert hatte. Goebbels' Tagebücher und das Produktionslogbuch belegen dies.

Die in Englands Channel 5 ausgestrahlte Sendung war Vorbote einer Ereigniswelle zum 100. Jahrestag der "Titanic"-Katastrophe, die weltweit Hunderte von Millionen, wenn nicht Milliarden, in die Kassen der Veranstalter spülen wird. Als potenziell lukrativsten Knüller schickt Hollywoodregisseur James Cameron seine Erfolgsschnulze "Titanic" mit Kate Winslet und Leonardo DiCaprio erneut in die Kinos - als 3-D-Fassung (Deutschlandstart: 5.4.). Gleich zwei britische TV-Serien treten an, um ihr den Wind aus den Segeln zu nehmen. Eine, der Vierteiler "Titanic" von Oscar-Gewinner Julian Fellowes, ist an 86 Länder verkauft (31.3. auf ZDFneo; 6. und 9.4. im ZDF); die andere ist der BBC-Zwölfteiler "Titanic: Blood & Steel" mit Chris Noth aus "Sex and the City" und Sir Derek Jacobi aus "The King's Speech". Dutzende Theater in England haben "Titanic - das Musical" wieder auf den Spielplan gesetzt.

Derweil haben sich im südwestenglischen Städtchen Devizes Interessenten aus Amerika, Russland und China zu einer "Titanic"-Versteigerung am 31. März angesagt. Keine zwei Wochen darauf steigt in New York die bisher größte "Titanic"-Auktion - über 5500 Stücke mit einem erwarteten Gesamterlös von mehr als 150 Millionen Euro.

In Belfast, der Geburtsstadt der "Titanic", eröffnet am Monatsende die weltgrößte und 108 Millionen Euro teuer Touristenattraktion, die dem Unglücksschiff gewidmet ist: 12 000 Quadratmeter groß und sechs Stockwerke hoch ragt der aluminiumverkleidete Ausstellungs- und Veranstaltungskomplex Titanic Belfast vier Schiffsbugen gleich in den Himmel über dem einstigen Gelände der "Titanic"-Bauwerft Harland & Wolff. Im Inneren prangt eine sieben Meter hohe und 7,30 Meter breite handgetischlerte Nachbildung der "Titanic"-Freitreppe aus Roteiche. 35 000 Eintrittskarten sind bereits vorbestellt, und im ersten Jahr werden mehr als 400 000 Besucher erwartet.

Doch die wohl spektakulärsten - weil einmaligen - Ereignisse des "Titanic"-Jahres sind Pilgerfahrten an die Unglücksstelle, vier davon bis hinab zum Wrack in 3750 Meter Tiefe. Mark Sellers, Chef der New Yorker Versteigerung, warnt: "Nach und nach wird die ,Titanic' auf dem Meeresboden von Mikroben verzehrt, und irgendwann in nicht allzu ferner Zukunft wird nur noch die Erinnerung bleiben."

1309 Passagiere, dieselbe Anzahl wie beim Start der "Titanic"-Jungfernreise am 10. April 1912, treten am 8. April in Southampton eine Memorialfahrt auf der "Balmoral" an, die zwar das modernste Schiff der Fred-Olsen-Linie ist, aber mit maximal 22,5 Knoten kaum schneller ist, als es die "Titanic" war. Die Teilnehmer der seit über einem Jahr ausgebuchten Reise kommen aus 28 Ländern, auch aus Deutschland, und lassen sich den Zwölf-Nächte-Törn inklusive Rückflug von New York zwischen 3127 und 5387 Euro kosten. Nach einem Zwischenstopp in Cobh (Irland) - dem damaligen Queenstown, das die "Titanic" als letzten Hafen anlief - geht es auf Originalkurs hinaus aufs offene Meer. Unterwegs gibt es "Titanic"-Vorträge und -Souvenirs, und man speist "Titanic"-Gerichte zu Orchesterklängen des frühen 20. Jahrhunderts.

Am 14. April stößt über dem Wrack, 380 Seemeilen südöstlich von Neufundland, die "Azamara Journey" mit 697 Passagieren aus New York (Kosten der neuntägigen Kreuzfahrt: 3854 bis 11 678 Euro) hinzu. An der Gedenkfeier zwischen 23.40 Uhr und 2.20 Uhr nimmt auch ein Eispatrouillenschiff der US-Küstenwache teil, "und wer weiß, wer sonst noch unter eigener Kraft aufkreuzt", sagte Reiseveranstalter Miles Morgan aus England, der die Kreuzfahrer gechartert hat. Im Anschluss an die Zeremonie steuern die "Balmoral" und die "Azamara Journey" das kanadische Halifax an, wo rund 200 "Titanic"-Opfer beerdigt sind, und schließlich New York. Morgans makabres Versprechen: "Der Hauptunterschied (zur ,Titanic') ist, dass die Tributschiffe ihren Zielhafen erreichen."