Dutzende Tote bei Tornados in den USA. Ohne Warnsysteme wären es wohl noch mehr Opfer. Die Natur zeigt den Menschen erneut ihre Grenzen.

Washington. Nick Shelton traut seine Augen nicht, als die Gefahr vorüber ist und er sich wieder aus dem Keller von „Budroe's Family Restaurant“ traut. Dorthin hatte sich der Werkstatt-Besitzer vor dem Tornado geflüchtet, der mit tödlicher Gewalt auf Henryville im US-Staat Indiana zuraste. Nun blockiert etwas Großes, Gelbes seinen Weg ins Freie, erzählt Shelton der Zeitung „Indianapolis Star“ - ein Schulbus, in die Trümmer geschleudert wie ein Spielzeug.

Kaum ein anderes Bild fängt die unbändige Gewalt jener jüngsten verheerenden Tornado-Serie besser ein - und die Ohnmacht der Menschen, die damit fertig werden müssen. Durch rund ein Dutzend Staaten fegen am Freitag und Sonnabend etwa hundert der berüchtigten Wirbelstürme, gerade einmal ein paar Tage, nachdem bereits weiter nördlich im Lande Tornados Tod und Zerstörung brachten.

Abermals kehren nun die schwarzen Wolkenschläuche am Boden das Unterste nach oben, saugen Menschen aus ihren Häusern, knicken Strommasten und Bäume, heben tonnenschwere Lastwagen in die Luft. 17 Millionen Amerikaner, beinahe so viele wie Nordrhein-Westfalen Einwohner hat, sind von Texas über Indiana bis nach North Carolina betroffen. Froh ist, wer mit dem nackten Leben davonkommt.

Wie jene 40 Jungen und Mädchen der High School und Grundschule in Henryville, die es vor dem nahenden Sturm nicht mehr nach Hause schaffen und sich im Verwaltungstrakt verschanzen. Ihnen bleiben nur Gebete, aber sie scheinen zu helfen. Niemand erleidet Blessuren. „Es ist ein Segen“, gibt hinterher Direktor Glenn Riggs erleichtert zu Protokoll. Von seiner Schule lässt der Sturm nur ein Skelett. „Es sieht aus, als sei eine Atombombe hochgegangen“, beschreibt ein Polizeisprecher die Szenerie. Dort wütete ein Tornado der Stufe EF-4 - mit Windgeschwindigkeiten von bis zu 320 Stundenkilometern.

Tausende stehen nun vor dem Nichts. Ein genauer Überblick über die Schäden wird wohl Tage oder Wochen dauern. Werkzeug im Wert von Tausenden Dollar liegt dort verstreut, wo einmal Nick Sheltons Werkstatt war. Sein „Henryville Auto Service“ hatte er erst voriges Jahr eröffnet, nach einem Vierteljahrhundert als Mechaniker im Dienste anderer. „Da liegt mein Lebenstraum“, sagt er einem Reporter des „Indianapolis Star“. „Und er ist am Boden.“

Keine 20 Kilometer entfernt, in Marysville, erlebt Jeremy Fraim dasselbe Trauma. Als er am Freitagabend von der Arbeit nach Hause kommt, ist sein Haus verschwunden. „Einfach weg“, sagt er einem Reporter der „New York Times“. Ein paar Freunde helfen ihm zusammenzupacken, was es die Mühe noch wert war. „Mein Pickup-Truck hinten im Hof ist nur noch ein Knäuel aus Stahl“, berichtet er. „Ich habe alles verloren, alles, wofür ich so hart gearbeitet habe.“

Einen Tag lang war die Rettung der kleinen Angel Babcock in einem Feld in Indiana als kleines Wunder gefeiert worden, als Funken Hoffnung in all der Not. Am Sonntag starb auch das erst 14 Monate alte Mädchen. Seine Verletzungen waren einfach zu schwer, ließen der Familie kein Wahl, als alle lebenserhaltenden Maßnahmen zu beenden. Hätte Angel Babcock überlebt, sie wäre als Waise aufgewachsen: Ihre Eltern, der dreijährige Bruder und das zwei Monate alte Schwesterchen - alle starben sie im Sturm.