Reisende klagen über schlechte Betreuung durch das Personal. Auch Claudia Schiffer an Bord.

London/Paris. Die Szenen sind gespenstisch: Frauen fallen in Ohnmacht, Kinder übergeben sich, ältere Leute ringen um Luft, andere weinen. Was für mehr als 2000 Passagiere des Superschnellzugs Eurostar der Start in ein schönes Wochenende sein sollte, wurde zu einem stundenlangen Albtraum. Vier Eurostars waren nach einer Kältepanne in der Nacht zum Sonnabend im Tunnel unter dem Ärmelkanal zwischen Frankreich und Großbritannien liegen geblieben. Unter den Passagieren war auch Claudia Schiffer (39), die seit Jahren in London lebt.

Bis zu 15 Stunden dauerte es, bis sie schließlich ihren Zielbahnhof in London erreichten - übermüdet, erschöpft, hungrig und einfach nur noch wütend. "Wir wurden wie Tiere behandelt", sagte ein Passagier. "Es gab kein Essen und die Leute lagen auf dem Boden." Ein Tourist aus den USA: "Wir kommen aus San Francisco und brauchen nach London zehn Stunden. Mit dem Eurostar haben wir jetzt von Paris zwölf Stunden gebraucht, was soll ich da sagen." Man habe sie völlig sich selbst überlassen, schimpfte die Reisende Alison Sturgeon. "Die Zustände im Zug waren furchtbar. Wir haben wie Landstreicher auf Zeitungen geschlafen, und niemand wusste, was los war." Vom Personal habe sich niemand blicken lassen.

Lee Godfrey, der mit seiner Familie von Paris nach London zurückfuhr, sagte, in den Wagen seien Strom und Lüftung ausgefallen. Reisende hätten Asthma-Anfälle bekommen, andere seien in Ohnmacht gefallen. Peinlich berührt bat das Eurostar-Management um Entschuldigung. "Eurostar tut es sehr, sehr leid, dass so viele Fahrgäste letzte Nacht und diesen Morgen in Unannehmlichkeiten waren", sagte Firmenchef Richard Brown. "Wir arbeiten hart daran, die Fahrgäste nach Hause zu bringen." Die Reisenden sollen eine Entschädigung von 150 Pfund (170 Euro) und ein kostenloses Ticket erhalten, außerdem wird ihnen der Fahrpreis erstattet. Das letzte Wochenende vor dem Fest hatten besonders viele Menschen eine Reise mit dem Eurostar gebucht, der London mit Paris oder Brüssel verbindet. Am Sonnabend hätten eigentlich 31 000 Passagiere den Eurotunnel durchqueren sollen, am Sonntag wären es rund 28 000 gewesen, wie ein Eurostar-Sprecher sagte.

Trotz aller Technik waren die modernen Hochgeschwindigkeitszüge dem extremen Wetter nicht gewachsen. Auf der Fahrt durch das klirrend kalte Nordfrankreich waren die Lokomotiven bei eisigem Wind ungewöhnlich abgekühlt. Dann ging es in den Tunnel - bei 25 Grad und hoher Luftfeuchtigkeit. Eurostar-Chef Richard Brown beschrieb den Effekt so: "Das ist, als ob Sie eine Bierflasche aus dem Kühlschrank in einen warmen Raum bringen, da entsteht viel Kondenswasser." Dies habe die Elektronik an Bord der Züge beeinträchtigt. Um ein weiteres Fiasko zu verhindern, strich das Unternehmen am Wochenende alle Verbindungen, und verdarb damit fast 60 000 Menschen den Start ins letzte Adventswochenende. Gestern war noch unklar, wann die Züge wieder verkehren können.

Die französische Eisenbahner-Gewerkschaft CGT-cheminots warf Eurostar vor, die Wartung der Züge vernachlässigt zu haben. "Die Erklärung kann nicht nur in einigen Schneeflocken und Temperaturwechseln liegen", wetterte ihr Chef Didier Le Reste. "Ich glaube, dass es einen Zusammenhang mit der Verringerung des Wartungspersonals gibt." Das Problem mit den Eurostar-Zügen sei bekannt, sagte der Betriebsleiter von Eurotunnel, Pascal Sainson. Der auf den Zügen angesammelte Schnee schmelze bei der Fahrt in den Tunnel und dringe "in das Lüftungssystem ein, wo er einen Kurzschluss im Motor erzeugt". Danach ließen sich die Loks nicht mehr starten.

Wie die Londoner "Sunday Times" berichtete, war bereits im Februar ein Eurostar liegen geblieben, 1000 Fahrgäste hätten drei Stunden lang unter dem Ärmelkanal in einem Zug ausharren müssen.

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