Lastwagenfahrer Herrmann R. hatte zu lange in den Rückspiegel gesehen. Er fuhr in ein Stauende.

Magdeburg/Hamburg. Der Prozess mit dem Aktenzeichen 25KLs 32/07 im Landgericht in Magdeburg scheint ein Allerweltsverfahren zu sein. Unfall auf der Autobahn. Ungewöhnlich ist zunächst nur: Dem Angeklagten stehen 13 Nebenkläger an diesem Morgen im Saal sechs vor der fünften Strafkammer gegenüber. Tatsächlich geht es um einen der tragischsten Unglücksfälle der vergangenen Jahre, den Tod von 13 Menschen, die sich auf einen schönen Ausflug gefreut hatten.

Rückblick. Der 18. Juni 2007 war ein normaler Sommertag. Herrmann R. (48) aus Niedersachsen ist mit seinem Lastwagen auf der Autobahn 14 bei Saalebrücke unterwegs, einem Ort in Sachsen-Anhalt, der für seine historische Brücke über den Fluss Saale bekannt ist. Er sieht in den Rückspiegel, sucht den Wagen eines Kollegen, der längst aufschließen wollte. Das Stauende vor ihm sieht der Mann am Steuer nicht, auch nicht den Reisebus, der vor ihm unerwartet bremsen muss. Der Lkw von Herrmann R. kracht praktisch ungebremst mit 75 km/h in dessen Heck. Durch die Wucht des Aufpralls durchbricht der Bus die Leitplanke, rutscht fünf Meter eine Böschung hinab, überschlägt sich und bleibt schließlich auf dem Dach liegen. Bei dem Unglück sterben sieben Männer und sechs Frauen im Alter von 42 bis 79 Jahren. Sie alle waren mit einer Reisegruppe aus dem münsterländischen Hopsten (Nordrhein-Westfalen) auf dem Weg nach Dresden. 22 weitere Insassen des Busses werden zum Teil schwer verletzt.

"Ich habe den Bus viel zu spät erkannt", sagt der Angeklagte jetzt vor Gericht aus. "Ich war in dem Moment schockiert und nicht fähig, eine Bremsung einzuleiten." Die Vorwürfe der Anklage seien komplett zutreffend, murmelt Herrmann R., sichtlich mitgenommen in seinem dunklen Anzug mit der viel zu bunten Krawatte. "Dann habe ich nur noch Schreie gehört und kam irgendwann zum Stehen und sah den Bus wegkippen, dann war er von der Bildfläche verschwunden", sagt er über den Tag, der sein Leben veränderte.

Der Verteidiger des 48-Jährigen, Erich Joester, sagt, die Angehörigen der Opfer hätten seinem Mandanten vergeben: "Wir haben uns zu verneigen vor der Großmütigkeit der Familien", meint der Rechtsanwalt in Richtung der Nebenkläger. Eine junge Frau, die bei dem Unglück ihre Mutter verloren hatte, sagt mit Blick auf den unglücklichen Lastwagenfahrer: "Für uns alle muss das Leben weitergehen. Das wünschen wir ihm auch." Dass die Verhandlung vor dem Landgericht erst knapp zweieinhalb Jahre nach dem Unglückstag stattfindet, liegt an einer lebensbedrohlichen Erkrankung des Lkw-Fahrers. Schon im April 2008 hätte er vor Gericht stehen sollen. Das Verfahren musste verschoben werden. "Diese Erkrankung stand aber in keinem Zusammenhang mit dem Unfall", stellte damals ein Gerichtssprecher klar. Woran R. litt, wurde nicht bekannt. Nun scheint der Angeklagte zwar körperlich genesen zu sein. Ob er es seelisch ist - jemals wieder sein wird -, bleibt fraglich. Er wirkt in sich gekehrt, als der Richter schließlich Milde walten lässt. Neun Monate auf Bewährung lautet das Urteil. Der Angeklagte muss nicht ins Gefängnis. Er habe sich im Laufe der Ermittlungen geständig und kooperativ gezeigt, lautet die Begründung. Für Herrmann R. bedeutet das Urteil die Chance auf einen Neuanfang.