Die Existenz des Tonbandes wurde nur durch einen Zufall bekannt. Es belastet Hauptbeschuldigten.

München/Hamburg. Die Vorstellung ist bedrückend: Ein Mensch wird erschlagen, die Polizei hört alles mit und kann nicht mehr rechtzeitig eingreifen. Der unfassbare Tod des Münchner Unternehmers Dominik Brunner (* 50) am 12. September auf dem S-Bahnhof Solln hat in Deutschland eine Diskussion über Jugendkriminalität ausgelöst.

Jetzt sind neue schreckliche Einzelheiten der Tat bekannt geworden, die die besondere Brutalität der Angreifer belegen. Es gibt einen Notruf-Mitschnitt, der beweist, mit welcher Wut die Schläger Dominik Brunner malträtiert haben. Das Opfer sei nicht mehr in der Lage gewesen, um Hilfe zu rufen, zitiert die "Bild"-Zeitung einen Ermittler. Es sei von Brunner nur ein "unverständliches Murmeln" zu hören.

Schon die Obduktion hatte ergeben, dass Brunner 44 Verletzungen erlitten hatte, von den 22 "in ihrer Gesamtheit" zum Tode führten. "Fuck, Fuck, Fuck", rief einer der Jugendlichen, als er auf Brunner einprügelte - vermutlich Markus S. (18). Er habe wie "ein Tier schreiend" zugeschlagen und immer wieder "Motherfucker" gerufen. "Wir haben die Tötung auf Band. Das Ganze dauert höchstens eine Minute. Man hört einen schreienden, tobenden Täter, es ist von der Stimme her höchstwahrscheinlich Markus S. Es ist schrecklich. Man hört, dass geschlagen wird, in schneller Abfolge", zitiert die "Bild"-Zeitung den Ermittler.

Wie die Aufnahme entstanden ist, kann auch die Polizei noch nicht nachvollziehen. Der erste Anruf Brunners ging um 16:05 Uhr von der S-Bahn aus bei der Notrufzentrale in München ein. Er wurde aber nicht als dringend gewertet, da Brunner mit ruhiger Stimme erklärt, dass Kinder bedroht würden, es gehe um Diebstahl. Die Polizei schickte einen Streifenwagen ohne Blaulicht. Als die Besatzung am Tatort eintraf, war es für Brunner längst zu spät. Der herbeigerufene Notarzt konnte nichts mehr für den Unternehmer tun.

Denn schon um 16.09 Uhr war ein zweiter Notruf eingegangen. Ob Brunner beim Aussteigen aus der S-Bahn selbst noch einmal gewählt hatte oder ob versehentlich die Wahlwiederholung seines Handys betätigt wurde, etwa durch die Schläge, ist bisher nicht geklärt. Nach einem Bericht der "Süddeutschen Zeitung" kam die Existenz des Tondokuments vom Sollner S-Bahnhof "nebenbei heraus". In einem Prozess um die Entführung von Ursula Herrmann hatte eine Phonetik-Expertin des Landeskriminalamts die Aufzeichnungen erwähnt, um zu unterstreichen, "dass das menschliche Ohr bei der Analyse von Tonaufzeichnungen oft mehr leisten kann als technische Geräte". Das Landeskriminalamt habe das Tonband bereits untersucht, sagte Oberstaatsanwalt Hajo Tacke.

Die beiden tatverdächtigen jungen Männer, der 17-jährige Sebastian L. und der als Haupttäter geltende Markus S., sitzen wegen Mordes in Untersuchungshaft. Sebastian L. könnte durch den Mitschnitt entlastet werden. Nach Angaben der Ermittler sei zu hören, wie er Brunner von seinem vor Wut rasenden Freund wegzieht. Ob das Tondokument aber vor Gericht relevant sein wird, werde sich erst am Ende des Ermittlungsverfahrens herausstellen, berichtete die Polizei. Noch werde der Mitschnitt von Phonetikern ausgewertet. Angelika Braun, Professorin für Phonetik mit Schwerpunkt forensische Phonetik, schätzt Tondokumente als "doch recht zuverlässige" Beweismittel ein. Ein Tonband könne "beliebig oft" abgehört werden, sagte sie der "Süddeutschen Zeitung". Augenzeugen seien in diesem Punkt unzuverlässiger. Man könne auf derartigen Tonbändern im Millisekundenbereich arbeiten, "hören, wann eine Flasche zerschlagen wird oder ein Messer in eine Textilie eindringt".

In etwa vier Wochen will die Staatsanwaltschaft München die Anklageschrift gegen Sebastian L. und seinen Freund Markus S. vorlegen.