Mehr als ein Vierteljahrhundert nach dem mysteriösen Tod einer 15-jährigen Französin hat ein Unbekannter den deutschen Stiefvater des Mädchens geknebelt und nach Frankreich verschleppt.

Straßburg. Der 74 Jahre alte Arzt Dieter K. aus Scheidegg in Bayern wurde mit einer Kopfverletzung und gefesselten Händen in der Nähe eines Gerichts im elsässischen Mülhausen gefunden. Die französische Polizei nahm den Kardiologen fest - ebenso wie den leiblichen Vater des Mädchens, André B. (74). Ein Fall von Selbstjustiz?

Ein Sprecher der Staatsanwaltschaft Kempten (Allgäu) sagte gestern Abend: "Ein 38-jähriger Mann aus dem Kosovo hat gestanden, an der Entführung beteiligt gewesen zu sein." Er habe offenbar weitere Komplizen gehabt. Die Polizei vermutet, dass André B. hinter der Aktion steckt. Der Rentner ist überzeugt davon, dass Stiefvater Dieter K. seine Tochter Kalinka 1982 in Lindau am Bodensee vergewaltigen wollte und ihr, bei dem Versuch, sie zu betäuben, eine tödliche Spritze gab. Bei der Obduktion wurden Genitalverletzungen festgestellt. Ein französisches Gericht hatte den deutschen Mediziner 1995 in Abwesenheit wegen fahrlässiger Tötung des Mädchens zu 15 Jahren Haft verurteilt. Der Mann wurde jedoch nie nach Frankreich ausgeliefert. Die deutschen Behörden hatten das Verfahren eingestellt, weil die Todesursache nicht zweifelsfrei zu ermitteln war.

Zwei Jahre nach seiner Verurteilung war Dieter K. 1997 in Kempten wegen Vergewaltigung einer unter Narkose stehenden 16-Jährigen zu zwei Jahren Haft auf Bewährung verurteilt worden und verlor seine Zulassung als Arzt. Er hatte ihr zwei Beruhigungsspritzen gegeben und sich nach einer Magenspiegelung an dem Mädchen vergangen. 2007 wurde der Mediziner vom Landgericht Coburg wegen Betrugs zu zwei Jahren und vier Monaten Gefängnis verurteilt, weil er seinen Beruf weiter ausgeübt hatte.

Robert Pince von der von André B. gegründeten Organisation "Gerechtigkeit für Kalinka" sagte im französischen Rundfunk: "Ich weiß nicht, ob André hinter der Entführung steckt. Ich weiß nur, dass er verzweifelt war über die Untätigkeit der Justiz. Der Mann kämpft seit 25 Jahren für eine gerechte Bestrafung des Täters, und vielleicht hat er das Gefühl gehabt, dass die Affäre im Sande verläuft. Er ist ein sehr frommer Mann. Er will keine Rache, sondern Gerechtigkeit." André B., der seit Jahren in Pechbusque bei Toulouse in Südfrankreich lebt, hatte sich, laut Polizei, am Wochenende nachweislich in Mülhausen aufgehalten. Unklar ist, ob Dieter K. in Frankreich, wo er mit Haftbefehl gesucht wurde, ins Gefängnis muss oder ob die Behörden ihn wieder nach Deutschland abschieben.