Der Therapeut und seine Patienten planten ein Drogenexperiment, das schließlich zwei Menschen das Leben kostete.

Berlin. Auf dem Praxisschild vor dem unscheinbaren Haus im Berliner Norden steht „Psycholytische Einzel- und Gruppentherapie“. Doch was das bedeutet, fragen sich viele Nachbarn erst, als am Wochenende Rettungswagen die Straße verstopfen und Polizisten das Haus absperren. Zwölf Männer und Frauen sind dort am Sonnabendvormittag zur Gruppensitzung gekommen. Einige Stunden später sind zwei von ihnen tot. Andere müssen sich übergeben und werden ins Krankenhaus gebracht. Sie haben ein Gemisch aus verschiedenen Drogen zur Bewusstseinserweiterung eingenommen. Ein 50-jähriger Arzt und Psychotherapeut mixte den tödlichen Cocktail und gab ihn seinen Patienten. Nun ermittelt die Mordkommission, ob es sich um einen Unfall, fahrlässige Tötung oder Totschlag handelt.

Der Therapeut, seine 41-jährige Frau und seine Patienten planten bei der Gruppensitzung offenbar ein Drogenexperiment - das aber völlig aus dem Ruder lief. Die psycholytische Therapie will starke seelische Blockaden und Abwehrmechanismen mit Hilfe von Drogen wie LSD, Meskalin, Ecstasy, Amphetaminen oder Heroin lösen. Die Patienten sollen in rauschähnliche Zustände verfallen und sich dem Therapeuten öffnen. Nach ersten Erkenntnissen der Ermittler nahmen die Männer und Frauen verschiedene Substanzen in ganz unterschiedlicher Menge zu sich. Was genau eingenommen wurde, muss in den kommenden Tagen von den Gerichtsmedizinern geklärt werden.

Unklar war auch noch, ob die Drogen gespritzt, geschluckt oder getrunken wurden. Die Wirkung war bei den Patienten allerdings heftig. Ihnen wurde übel, manche mussten sich übergeben. Um 15.30 Uhr alarmierte einer der Teilnehmer per Handy die Feuerwehr. Als der Notarzt die Praxis erreichte, verweigerten einige der unter Drogen stehenden Menschen die Untersuchung. Die Sanitäter riefen die Polizei und weitere Rettungsteams. Ein Hubschrauber schwebte ein.

Die tödliche Wirkung der Drogen ließ sich aber in zwei Fällen nicht mehr stoppen. Ein 59-jähriger Mann starb noch am Nachmittag in den Praxisräumen, der Notarzt konnte ihn nicht mehr wiederbeleben. Ein 28-jähriger Mann fiel ins Koma und starb in der Nacht im Krankenhaus. Ein dritter Patient schwebte am Sonntag noch in Lebensgefahr. Andere waren nur kurz im Krankenhaus.

Der 50 Jahre alte Arzt und Therapeut, der auch „Suchttherapie“ anbietet und gegen „spirituelle Krisen“ helfen will, wurde festgenommen. Er gestand, seinen Patienten verschiedene Psycho-Drogen gegeben zu haben. Die Polizei nimmt nicht an, dass er vorsätzlich jemanden töten wollte. Ein derartiger Einsatz von Drogen ist Deutschland jedoch „eindeutig verboten“, sagte der Vizepräsident des Berufsverbandes Deutscher Psychologen, Laszlo Pota, am Sonntag in Hamburg. „Das fällt unter das Betäubungsmittelgesetz.“ Nach seiner Einschätzung droht dem Mann jetzt der Entzug der Zulassung als Arzt.

Denn offenbar versuchte sich der Therapeut weit jenseits der von Krankenkassen und Wissenschaft akzeptierten Methoden - und ist damit nicht allein. Im Internet und Stadtmagazinen wimmelt es von seriösen oder esoterischen Angeboten für kranke oder Sinn suchende Menschen. Hypnotherapie, Bioenergetik, astrologisches Coaching, Kunsttherapie, Schwitzhüttenzeremonien oder Mantrensingen bilden ein buntes Durcheinander. Offiziell anerkannt von den Krankenkassen sind nur drei Therapieformen: Verhaltenstherapie, tiefenpsychologisch fundierte Psychotherapie und Psychoanalyse. Andere sind im besten Fall harmlos, schlimmstenfalls aber gefährlich.

Warum sich die Patienten auf das Experiment einließen und wie der tödliche Drogen-Mix zustande kam, müssen die Ermittler noch klären. Nachbarn in der ruhigen Wohngegend zeigten sich am Wochenende entsetzt. Das Haus war am Sonntag noch versiegelt. Im Garten lag Kinderspielzeug. Auf dem Anrufbeantworter der Praxis war nur eine ruhige Männerstimme zu hören: „Ich bin im Moment telefonisch nicht zu erreichen. In dringenden Fällen wenden Sie sich bitte an den ärztlichen Notdienst.“