Dort, wo früher Dorffeste gefeiert wurden, ist die Erde 140 Meter in die Tiefe abgesackt. Retter können das Areal nicht betreten - Lebensgefahr.

Nachterstedt. Sie waren im Urlaub, doch als sie zurückkehrten, war ihr Haus einfach vom Erdboden verschluckt. Bis gestern lebten Elke und Ekkehard Schirrmeister idyllisch am Concordia-See in Nachterstedt (Sachsen-Anhalt), jetzt ist ihr einstiges Doppelhaus wie ein Blatt Papier in zwei Teile zerrissen, die Trümmer ihres Eigenheims liegen im Abgrund des Tagebausees. "Wir haben nichts mehr, vom Zeugnis bis zum Wintermantel. Kein Auto, kein Zuhause, keine Fotos", sagt die 60-Jährige. "Von meinen Eltern bleibt mir nur das Grab."

Die sandige Böschung des Sees im Harzvorland war am Sonnabend gegen 5 Uhr auf mehreren Hundert Meter Breite abgestürzt, eine Straße wurde einfach abgerissen, ein Haus versank vollständig im See. Drei Bewohner hatte der gewaltige Erdrutsch im Schlaf überrascht, von ihnen fehlte auch gestern noch jedes Lebenszeichen. Große Hoffnung, sie noch lebend zu bergen, bestand nicht mehr. Die quälende Ungewissheit für die Angehörigen könnte noch Tage dauern: Die Suche nach den drei Vermissten ist für die Rettungskräfte von Polizei, Feuerwehr und Technischem Hilfswerk bislang kaum möglich. Dort, wo früher Dorffeste gefeiert wurden, ist die Erde aus den Fugen geraten und 140 Meter in die Tiefe abgesackt. Die Mischung aus Sand, Ton und Schlamm zu betreten wäre lebensgefährlich. Nicht einmal Suchhunde wollte man in den Krater schicken. Und auch den Einsatz von Suchrobotern lehnte die Bundeswehr ab, weil sie nicht zu den Opfern gelangen könnten.

Vermisst werden ein Ehepaar - er 50 Jahre alt, sie 48 - sowie ein Mann von 51 Jahren. Seine Frau war gerade zur Nachtschicht im Krankenhaus und hat überlebt, doch sie steht massiv unter Schock. Entwarnung gab es am Nachmittag wenigstens für ihren taubstummen Sohn (22), der eine eigene Wohnung im Nachbarort hat. Nachdem er anderthalb Tage lang als vermisst galt, meldete er sich gestern an den Absperrbändern der Polizei. "Er ist wohlauf und wird seelsorgerisch betreut", sagt Polizeisprecherin Bettina Moosbauer.

Gemessen an diesen Tragödien hatten die Schirrmeisters noch Glück im Unglück. Sie waren seit einer Woche mit einem Wohnmobil in Deutschland unterwegs, als sie Sonnabend auf der Autobahn telefonisch von Freunden die Hiobsbotschaft erhielten. "Mein Gott, wir leben wenigstens", sagt Ekkehard Schirrmeister, als er gestern vor dem Rathaus steht.

Auf ihr Grundstück können die Schirrmeisters vorerst allerdings nicht. Der Uferbereich rings um den See ist weiträumig abgesperrt. "Wir haben am Computer die Fotos gesehen. Das hat uns gereicht", sagt der 70-Jährige. Seit 20 Jahren hatte das Ehepaar in Nachterstedt gelebt, sorglos: "Uns wurde immer gesagt, es ist sicher hier." Jetzt hat das Paar nur noch sein Wohnmobil.

Am Mittag besuchte Ministerpräsident Wolfgang Böhmer (CDU) den Ort und erklärte die Region zum Katastrophengebiet. Denn nicht nur anderthalb Häuser und ein Teil der Straße sind fortgerissen. Die Gefahr weiterer Erdrutsche könnte überall lauern. Die Frage nach den Ursachen des Unglücks blieb auch gestern unbeantwortet. Die Polizei hat Ermittlungen wegen fahrlässiger Tötung aufgenommen.