Rechtsmediziner legt sensationelle Untersuchung vor. Aber wer liegt im Grab der 1919 ermordeten Sozialistin?

Berlin

Es ist eine unglaubliche, fast abenteuerliche Vermutung: Ein renommierter Berliner Wissenschaftler glaubt, die tatsächliche Leiche der ermordeten Sozialistin Rosa Luxemburg (* 47) gefunden zu haben. Der Leiter der Rechtsmedizin der Berliner Charité, Michael Tsokos, entdeckte bei seinem Antritt im Jahr 2007 in einer alten anatomischen Sammlung seines Instituts eine jahrzehntealte Wasserleiche. Die Neugier des Mediziners war geweckt, denn der Leiche fehlten Kopf, Hände und Füße. Tsokos recherchierte, befragte Historiker, wühlte sich durch alte Akten - und vermutet nun, dass es sich bei der Leiche um Luxemburgs Körper handelt. Die Tote weise "verblüffende Ähnlichkeiten mit der realen Rosa Luxemburg" auf, sagte Tsokos dem "Spiegel".

Die Spitze der Linkspartei fordert bereits, die Unklarheiten aufzuklären. "Wir verlangen eine vollständige Aufklärung unter Verantwortung des Bundespräsidenten und der Bundesregierung", erklärten Gregor Gysi, Oskar Lafontaine und Lothar Bisky am Freitag in Berlin. "Die Bevölkerung hat darauf Anspruch, da die 1919 mit Karl Liebknecht ermordete Rosa Luxemburg eine herausragende Persönlichkeit der deutschen und internationalen Arbeiterbewegung war."

Bislang ist noch nichts endgültig bewiesen, doch Tsokos hat zahlreiche Indizien gesammelt. Das Leibniz-Labor für Altersbestimmung in Kiel untersuchte den Leichentorso mit der C14-Methode und stellte fest, dass es sich bei der Toten "durchaus um Rosa Luxemburg handeln" könnte. Außerdem habe der Leichnam einen Hüftschaden und unterschiedlich lange Beine. Das könnte passen, denn die Revolutionärin litt an einem Hüftschaden und unterschiedlich langen Beinen. Warum der Kopf der Leiche fehlt, ist Tsokos noch ein Rätsel. Die fehlenden Hände und Füße dagegen könnten ein weiterer Hinweis darauf sein, dass es sich um Luxemburgs Körper handelt. "Sie wurde nach ihrem Tod in den Landwehrkanal geworfen", berichtet Tsokos. Dabei seien ihr mit Metallschlingen Gewichte an die Hände und Füße gehängt worden. "Treibt eine Leiche wochenlang im Wasser, kann es passieren, dass sich die Hände und Füße mit der Zeit ablösen."

Das ist aber noch nicht alles. Tsokos ist sich zu "100 Prozent sicher", dass es sich bei dem Körper, der 1919 als Luxemburgs Leichnam auf dem Friedhof Berlin-Friedrichsfelde beerdigt wurde, nicht um die einstige KPD-Führerin handelt. "Ich habe mir das historische Obduktionsprotokoll herausgesucht", sagt der Mediziner. In der Akte stehe zwar "Sektionsprotokoll der Rosa Luxemburg". "Doch in dem Bericht wird klar, dass es nicht ihre Leiche sein konnte."

Denn Tsokos' Vorgänger fanden weder einen Kopfschuss noch Spuren für Gewehrkolbenschläge auf dem Schädel der Toten. Dabei soll Luxemburg am 15. Januar 1919 in Berlin von Soldaten der Garde-Kavallerie-Schützen-Division zunächst niedergeschlagen und dann durch einen Kopfschuss getötet worden sein. Außerdem notierten die Rechtsmediziner in ihrem Obduktionsprotokoll, dass die Leiche keinen Hüftschaden und auch keine unterschiedlich langen Beine hatte. Hinzu kommt, dass Tsokos bei seinen Recherchen von Historikern erfahren hat, die SED habe Ende der 40er-Jahre Luxemburgs Leichnam exhumieren wollen - im Grab aber gar keine Leiche gefunden.

Tsokos entnahm der Toten inzwischen eine Genprobe, doch die Suche nach DNA-Vergleichsmaterial gestaltet sich schwierig. Der Rechtsmediziner fahndet nun nach einer Nichte der Revolutionärin, die angeblich in Warschau lebt.