Ihre Liebe ist in Deutschland strafbar: Das Bundesverfassungsgericht hat ihre kleine Familie auseinandergerissen. Die Karlsruher Richter entschieden: Inzest bleibt in Deutschland verboten.

Leipzig. Für Patrick S. (31) aus Zwenkau bei Leipzig, seine Schwester Susan K. (23) und ihre vier gemeinsamen Kinder ist das Urteil nur schwer zu ertragen. Jetzt wollen sie vor dem Europäischen Gerichtshof klagen. Ihre Leipziger Anwälte Hans-Peter Büllesbach und Sven Kuhne streben eine verfassungsrechtliche Überprüfung des Inzest-Paragraphen 173 an. Die Juristen argumentieren, dass das Verbot der Liebe unter Geschwistern, wenn sie denn einvernehmlich geschieht, ein Relikt aus grauer Vorzeit ist. In anderen europäischen Ländern wie den Niederlanden, Frankreich, Belgien, Portugal oder Luxemburg ist der Beischlaf zwischen Geschwistern erlaubt. Auch die Türkei, Japan, Argentinien und Brasilien kennen den Inzest-Paragraphen nicht.

Seinen Ursprung hat diese Regelung im deutschen Gesetzbuch vermutlich in der Bibel. Der Leipziger Volkszeitung sagte Büllesbach: "Die Blutschande ist nichts weiter als eine von alters her tradierte Kulturnorm, die vor allem auf mosaisches Recht, in der Bibel das dritte Buch Mose, Kapitel 20, Vers 11, 12, 14, zurückgeht. Das stellte die Ehe und den außerehelichen Geschlechtsverkehr zwischen Blutsverwandten unter Todesstrafe und distanzierte sich damit ausdrücklich von den Sitten anderer Völker des Altertums."

Auch die Theorie, der gemeinsame Nachwuchs eines Geschwisterpaares könnte krank zur Welt kommen, lässt der Anwalt nicht gelten: "Das klingt ja nach Drittem Reich. Dann müsste jedem der Beischlaf verboten werden, in dessen Familie schon einmal Erbkrankheiten aufgetreten sind. Das wäre ebenso absurd wie es eklatant dem Grundgesetz widerspräche, das die sexuelle Selbstbestimmung schützt."

Die Karlsruher Richter wollten dieser Argumentation allerdings nicht folgen. Sie waren der Meinung, dass Kinder aus Inzestverbindungen große Schwierigkeiten hätten, ihren Platz im Familiengefüge zu finden. Und auch die Auswirkungen des Inzests unter dem Gesichtspunkt der so genannten Eugenik war für sie wichtig: Es bestehe eine besondere Gefahr von Erbschädigungen bei Kindern aus Inzestbeziehungen, so das Urteil.

Für Patrick S. und Susan K. war die Entscheidung in Karlsruhe der vorläufige Höhepunkt einer ganz besonderen, dramatischen Liebe. Das Geschwisterpaar ist nicht zusammen aufgewachsen. Nach der Scheidung der Eltern wurde Patrick S. von einer Pflegefamilie in Potsdam adoptiert. Seine acht Jahre jüngere Schwester wuchs hingegen in Leipzig auf. Beide kannten sich nicht. Erst im Jahr 2000 lernte Susan K. ihren Bruder kennen. Traumatisiert durch den prügelnden Vater, suchte sie bei Patrick S. Schutz und Halt. Sie verliebte sich und blühte auf. Dann wurde Susan schwanger und die Behörden aufmerksam. Seit 2001 wurden ihnen nacheinander drei der vier neugeborenen Kinder entzogen, Patrick S. wurde zu einer Bewährungs- und schließlich zu einer Freiheitsstrafe verurteilt, Susan K. steht unter behördlicher Betreuung. Seit ihr Bruder im Gefängnis ist, lebt sie mit ihrer jüngsten Tochter Sofia allein. 2004 hielt es Patrick S. ohne seine Liebe nicht mehr aus: Er ließ sich sterilisieren, um wenigstens das Argument der Blutschande zu entkräften, sollte er eines Tages wirklich wieder mit seiner kleinen Familie vereint sein.