Schiffsunglück: Ursachen, Folgen und Konsequenzen: Das Abendblatt beantwortet die wichtigsten Fragen zum Untergang des Tankers “Prestige“

Wie sicher war die "Prestige"? Mit einer Ladefähigkeit von rund 84 000 Tonnen zählte sie zu den kleineren Tankern (die größten erreichen 200 000 Tonnen und mehr). Sie hat - wie zwei Drittel der circa 7300 Öltanker - nur eine Hülle, wurde vor 26 Jahren gebaut und sollte innerhalb der nächsten zwei Jahre ausgemustert werden. Nach Angaben der Hamburger Schiffs-Klassifikationsgesellschaft Germanischer Lloyd (GL) gab es bei den vergangenen fünf Inspektionen der unter panamaischer Flagge fahrenden und beim American Bureau of Shipping klassifizierten "Prestige" keine Beanstandungen.

Wie kam es zur Havarie? Die "Prestige" schlug vergangene Woche bei einem Sturm vor der spanischen Küste leck. Nach Einschätzung des GL-Vizepräsidenten Claus-Peter Davenport wurde die Schiffshülle durch schweren Wellengang beschädigt. "Wenn hohe Wellen ein Schiff von mehr als 230 Meter Länge breitseits treffen, wirken sie wie Beton", sagte Davenport dem Abendblatt. Vermutlich sei dabei eine Schweißnaht gerissen, dadurch habe der Rumpf seine Steifigkeit verloren und sei später an dieser, seiner schwächsten Stelle auseinander gebrochen.

Was droht jetzt? Das ausgelaufene Öl wird sich großflächig verteilen und beim derzeit herrschenden starken Westwind an die Küste treiben. Mit 10 000 toten Seevögeln - darunter Möwen, Trauerenten und Papageitaucher - rechnet der World Wide Fund of Nature (WWF). Doch das ist nur das, was jeder sieht - das toxische Öl schädigt Flora und Fauna unter Wasser und kann ganze Ökosysteme ruinieren.

Wie verhält sich das austretende Öl? Die "Prestige" hatte Schweröl an Bord. "Dieses löst sich nur zu einem sehr geringen Teil in kaltem Wasser und bildet zuerst einen Teppich an der Oberfläche. Ein Teil des Öls verklebt mit Sand und sinkt auf den Meeresboden ab", erläutert Prof. Olaf Giere vom Zoologischen Institut der Universität Hamburg. "Das kann Tage dauern", sagt der Ökologe. Am Boden angekommen, können die Sand-Öl-Klumpen ins Sediment eindringen.

Was bedeutet das für das Meer an der Untergangsstelle? "Das hängt davon ab, wie zähflüssig das Öl ist: Sehr flüssiges Öl kann aus dem Wrack stetig abfließen, wenn die Tanks korrodieren", erklärt WWF-Experte Rösner. Die günstigere Variante: Wenn das Öl sehr dickflüssig und das Wasser sehr kalt ist, wird es wahrscheinlich nicht aus den berstenden Tanks entweichen.

Welche Küsten sind betroffen? Die gesamte nordspanische Atlantikküste muss mit Folgen des Unglücks rechnen. Besonders hart wird es die Fischereiwirtschaft treffen. Die Region bildet das Zentrum der spanischen Küstenfischerei. Weniger betroffen ist der Tourismus, denn außer einigen Spaniern zieht es nicht viele Urlauber nach Galizien.

Wie gefährdet ist die Natur? "Wie das Öl befinden sich die Seevögel an der Luft-Wasser-Grenze. Das Öl benetzt das Gefieder", erklärt Hans-Ulrich Rösner, Leiter des WWF-Wattenmeerbüros in Husum. Um das Öl loszuwerden, putzen sich die Vögel. Dadurch gelangt es in den Magen-Darm-Trakt und führt zu Vergiftungen. Oder die Tiere erfrieren, weil sie durch das Öl die isolierende Luftschicht im Gefieder verlieren. Organismen wie Fische und Quallen schwimmen einfach weg. Auch das Plankton treibt aus dem verseuchten Gebiet heraus, und neues treibt wieder hinein. "Am stärksten betroffen sind alle am Meeresboden oder an Felse festsitzende Organismen wie Muscheln und Algen. Sie können nicht ,umziehen'", sagt Dr. Horst Weikert vom Institut für Hydrobiologie der Universität Hamburg. "Das Öl verklebt die Filtrationsapparate der Muscheln. Das ist ihr sicherer Tod", erläutert Zoologe Prof. Giere.

Welche Möglichkeiten gibt es, die Schäden zu begrenzen? "Wegen der Herbst- und Winterstürme ist das Wasser viel zu unruhig, um wirksame Maßnahmen einleiten zu können. Barrieren bringen überhaupt nichts", sagt Giere, der bereits 1978 die Folgen eines Tankerunglücks vor Frankreich untersuchte. "Ab Windstärke 6 - und das ist nicht einmal viel - schwappt das Öl über die Sperren." Auch ließe sich das Schweröl nur schwer vom Wasser entfernen, sagt WWF-Experte Rösner. Ein Hoffnungsschimmer: "Je weiter entfernt von der Küste das Öl austritt, desto besser treiben die Strömungen es weiter aufs Meer hinaus", sagt Giere. Dort leben weniger Meeresorganismen.

Wie lange braucht die Natur, um solche Schäden zu verarbeiten? Die Regenerationszeit der geschädigten Lebensräume kennt niemand genau. "In etwa ein bis zwei Jahren könnten die Felsküsten wieder sauber sein", vermutet Meeresökologe Giere. Denn die Wellen spülen das Öl von den Felsen ab. Das abgesunkene Öl aber kann sich mit dem Sediment vermischen und die Meeresflora und -fauna über Jahre schädigen. Um den Abbau des Öls kümmern sich vorwiegend Bakterien. "Jetzt ist es kalt, daher passiert zunächst wenig", sagt Giere.

Wer haftet für die Schäden? Der Internationale Kompensationsfonds für Ölverschmutzungen (IOPC) hat gestern bis zu 153 Millionen Euro in Aussicht gestellt. Der Fonds speist sich vor allem aus Beiträgen der Öltanker-Reedereien. Wie viel die Schiffsversicherung zahlen muss, ist noch offen. Nach Einschätzung des Hamburger Seerechts-Professors Rainer Lagoni seien weder der Reeder noch der Kapitän oder die Behörden Spaniens und Portugals juristisch zu belangen. Letztere hätten das Recht gehabt, den Havaristen abzuweisen, um ihre Küsten vor noch stärkeren Ölverschmutzungen zu schützen.

Welche Konsequenzen wurden aus früheren Unglücken gezogen? Die wichtigste: Seit 1993 dürfen nur noch Tanker mit einer doppelten Schiffshülle gebaut werden. Damit soll verhindert werden, dass bei Beschädigungen des Rumpfes Tanks leckschlagen. Vom Jahr 2015 an dürfen nach einer Vereinbarung der Internationalen Schifffahrtsorganisation (IMO) - von Ausnahmen abgesehen - keine Tanker mit einfacher Hülle mehr fahren. Die EU hat eine Verschärfung der Kontrollen in den Häfen und die Einrichtung von Notliegeplätzen für Schiffe in Seenot beschlossen. Schiffe, die mehrfach wegen schlechten Zustandes aufgefallen sind, soll das Einlaufen in EU-Häfen untersagt werden. Fraglich bleibt, inwieweit sich Schiffseigner aus anderen Teilen der Welt an die Sicherheitsstandards halten werden.