Als Kerstin (19) jetzt die Augen öffnete, sah sie zum ersten Mal etwas anderes als ihr Verlies. Das neue Leben der Kellerkinder.

Wien. Wochenlang lag sie im künstlichen Koma, jetzt wünscht sie sich Karten für ein Robbie-Williams-Konzert.

Der gute Gesundheitszustand der 19 Jahre alten Tochter des Inzest-Vaters Josef Fritzl (73) hat gestern alle Beobachter überrascht. Die in einem Kellerverlies aufgewachsene und im April lebensgefährlich erkrankte Kerstin Fritzl ist fast wieder gesund, lebt bereits bei ihrer Familie in einer Wohnung auf dem Amstettener Klinikgelände und macht sich Gedanken über die Zukunft. Sie wünsche sich unter anderem eine Schiffsreise und Tickets für einen Auftritt des englischen Popstars Robbie Williams (34, "Feel"), berichtet der behandelnde Arzt Albert Reiter. "Ich sagte 'Hallo Kerstin', Kerstin sagte zu mir 'Hallo'", erinnert er sich an die ersten Worte des Mädchens in Freiheit und nach ihrer Bewusstlosigkeit.

Mitte April war sie bleich und kaum ansprechbar in die Amstettener Klinik gebracht worden. Die Ärzte diagnostizierten das Versagen mehrerer lebenswichtiger Organe und legten sie in ein künstliches Koma. "Ihr Leben hing am seidenen Faden", sagt Reiter. Im Mai ging es Kerstin dann langsam besser, und die Ärzte begannen, sie langsam wieder aus dem Koma zu holen. Nach Angaben von Reiter öffnete Kerstin Fritzl dann am 15. Mai endlich die Augen - und sah zum ersten Mal in ihrem Leben etwas anderes als ihr Kellerverlies. "Sie hat zurückgelacht", erinnert sich der Arzt sichtlich gerührt.

Der schlechte Zustand Kerstin Fritzls bei ihrer Einlieferung in die Klinik hatte die Behörden damals überhaupt erst auf den grausigen Inzest-Fall von Amstetten aufmerksam gemacht. Josef Fritzl hatte seine Tochter Elisabeth (42) 24 Jahre lang in einem Kellerverlies unter seinem Wohnhaus in Amstetten gehalten und mit ihr sieben Kinder gezeugt. Drei wuchsen bei ihm und seiner Frau in Freiheit auf, drei - unter ihnen Kerstin Fritzl - hielt er im Keller mit der Mutter gefangen. Ein Kind starb nach der Geburt. Fritzl hatte nach seiner Festnahme weitgehend gestanden und sitzt seitdem in Untersuchungshaft. Kerstin Fritzl lebt seit Sonntag gemeinsam mit ihrer Mutter Elisabeth und den Geschwistern in einer etwa 300 Quadratmeter großen Wohnung auf dem Klinikgelände. "Es war ein ganz besonderer Augenblick, als ich mit Kerstin die Schwelle in die neue Wohnung überschreiten konnte - die Schwelle in ein neues Leben", sagt ihr Arzt. Sie könne lesen, schreiben, sei kommunikativ und habe viele Wünsche.

Wie es genau mit der Familie weitergeht, wollten die Ärzte gestern noch nicht sagen. Sie appellierten mit dem Anwalt der Familie, Christoph Herbst, an die Medien, den Opfern ihre neue Freiheit nicht gleich wieder zu nehmen. "Es ist für alle ein Wunder, dass Kerstin so schnell im Kreise ihrer Familie sein konnte", sagt Herbst. Auch wenn die Familie medizinisch stabil sei, müssen sich die Kinder und die Mutter aus dem Keller erst an die an Freiheit gewöhnten Verwandten anpassen.

Der ärztliche Direktor der Klinik, Berthold Kepplinger: "Die zwei Familienteile unterscheiden sich durch ein unterschiedliches Lebenstempo." Den einen reichten kleine Neuigkeiten, während den anderen schnell langweilig werde. "Für die einen ist das Vorbeiziehen einer Wolke schon ein großes Ereignis, die anderen übersehen das." Die Familie werde weiter psychologisch betreut, Kerstin Fritzl erhalte auch Physiotherapie, für die Kinder gibt es Schulunterricht. Gemeinsam habe die Familie schon Spaziergänge in der Natur unternommen - für die Kinder aus der Gefangenschaft ein beeindruckendes Erlebnis.

"Es ist ganz, ganz schön mitanzusehen, wie sie miteinander umgehen", sagt Kepplinger. In der nächsten Zeit will die Familie nach Angaben ihres Anwalts viele Briefe schreiben. "Elisabeth möchte sich bedanken, auch bei den vielen E-Mail- und Briefeschreibern für ihre Anteilnahme", so Anwalt Herbst. Es seien zahlreiche Schreiben aus Ländern wie Neuseeland, den USA aber auch Österreich eingetroffen.