Der einzige deutsche Sieger fordert Bohlen, Raab & Co. zu einem Wettbewerb heraus.

Abendblatt:

Mit welchen Gefühlen haben Sie das Finale 2008 gesehen?

Ralph Siegel:

(zitiert Goethes Faust) : Da sind zwei Seelen in meiner Brust. Eine, die sich wünscht, dass Deutschland gut abschneidet. Und eine, die es gerne selber und besser machen würde. Ehrlich: Die No Angels haben mir leidgetan! Am Ende waren die größten Künstler und die besseren Lieder vorne.



Abendblatt:

Viele empfinden die Ostländer als zu dominant...

Siegel:

...Russland hat viele Freunde, genauso, wie die Skandinavier sich untereinander bevorzugen. Entscheidend ist das aber nicht. Sonst würde Russland jedes Jahr gewinnen. Dazu kommt: Es gab in diesem Jahr keinen Grund, für Deutschland zu stimmen.



Abendblatt:

Was hatte Russland, was Deutschland nicht hatte?

Siegel:

Ein sehr gutes Lied, einen ziemlich guten Sänger und eine ausgeklügelte und fast übertriebene Show. Da steckte viel Geld, Kalkül und Engagement dahinter, wie wir es in Deutschland ohne starke Sponsoren nie auf die Beine stellen könnten. Nach Platz 2 im Jahr 2006 wollten die Russen unbedingt gewinnen und haben einen "Gewaltmarsch" unternommen, der sich gelohnt hat.



Abendblatt:

Und wir?

Siegel:

Man kann nicht im Herbst ein paar Lieder aus der Schublade holen und hoffen, dass die im nächsten Jahr gewinnen. Die Fernseh-Verantwortlichen beim NDR dürfen nicht nur der Industrie vertrauen. Unser bei dänischen Autoren eingekauftes Liedchen wies überhaupt keine deutsche Identität auf und war einfach nur ein durchschnittlicher Radiopopsong - das reicht nicht.



Abendblatt:

Waren wir wirklich so schlecht?

Siegel:

Selbst mit einer gut gemachten Popnummer haben wir international kaum Chancen, und wenn sie schlecht gesungen wird, erst recht nicht. Der NDR gibt sich wirklich große Mühe bei der Auswahl. Aber es gibt einen großen Unterschied zwischen der Perfektion eines Videoclips und dem Livegesang auf der Eurovisionsbühne, da brechen dann selbst so liebenswerte Mädchen wie die No Angels kläglich ein.



Abendblatt:

Gibt es einen Ausweg?

Siegel:

Wenn man international erfolgreich sein will, muss man mit erfahrenen Leuten arbeiten, die nicht nur auf den Erfolg in Deutschland schielen. Im Sport schickt man doch auch die größten Profis, warum nicht auch in der Musik?



Abendblatt:

Zum Beispiel Ralph Siegel? Was planen Sie für 2009?

Siegel:

Solange ich keinen Auftrag habe, kann ich nichts planen. Alles, was ich dem NDR in den Vorjahren angeboten hatte, wurde abgelehnt.



Abendblatt:

Ihre Ehefrau Kriemhild ist eine schöne, klassische Sopranistin...

Siegel:

...und sie singt wirklich sehr gut! Wenn wir zum richtigen Zeitpunkt mit ein bisschen Rückenwind das richtige Lied hätten... Wer weiß!



Abendblatt:

Was halten Sie von einem "Kompetenzteam" Siegel, Raab und Bohlen?

Siegel:

Ich hätte nichts dagegen! Aber die beiden würden da sicher nicht mitmachen. Mein Vorschlag: Wir holen neben Bohlen, Siegel und Raab noch die Produzenten Frank Farian (Boney M.) und Alex Christensen (U96) dazu und liefern je einen oder zwei Songs ab.



Abendblatt:

Und dann?

Siegel:

Alle Lieder müssten unbedingt am Abend des Vorentscheids gemeinsam uraufgeführt werden, so wie es früher schon war - ohne vorherige Wettbewerbsverzerrung a la "DSDS" und "TV total" -, dann hätten wir eine ähnliche Situation wie im internationalen Finale. Und die Zuschauer könnten spontan sagen "Aha. Gut" oder: "Nicht gut."



Abendblatt:

Was erwarten Sie vom NDR für 2009?

Siegel:

Meine Hoffnung ist gering, aber meine Freude, dabei zu sein, wäre riesengroß!