Hamburg. Was ist sinnlich, erotisch, verrucht, aber überall angesehen? Phallussymbol und Weltstar zugleich? Der Lippenstift. Seit 125 Jahren stiftet das Utensil Verwirrung zwischen den Geschlechtern. Rote Lippen soll man küssen, und zum Küssen sind sie da? Genau. Darum und nur darum geht es beim Lippenstift.

Frauen wissen das. Männer können das nur ahnen, schließlich sagen sie ja auch, sie hätten ihr Herz verloren und verwechseln das meistens mit ihrem Verstand. Jedenfalls benutzen 87 Prozent aller 14- bis 64-Jährigen XX-Chromosomenträgerinnen täglich einen Lippenstift. Die eiserne Verweigerungsfront führt übrigens Camilla Parker Bowles an, die keine Lippenstifte mag. Sie glaubt sowieso, Schminken sei nur etwas für Frauen.

Anfangs sah es allgemein gar nicht gut aus für den Lippenstift. Im 16. Jahrhundert beschmierten Männer und Frauen ihre Lippen mit einer Mischung aus Gummi arabicum, Feigenmilch, Eiweiß und zerstampften Cochinelleläusen. Zur gleichen Zeit etwa kam der Satz auf: Wer schön sein will, muss leiden. 1883 präsentiert dann ein Parfümhersteller aus Paris einen neuartigen Stift aus Rizinusöl, Hirschtalg und Bienenwachs. Ein Fortschritt immerhin, allerdings gab es mit den geschmolzenen Stiften häufig große Sauereien in den Handtaschen. Angemerkt sei daneben, dass sich die Farbe Grün nicht wirklich durchgesetzt hat.

Den Namen Stylo d'amour, Stift der Liebe, verdankt der Lippenstift der französischen Schauspielerin Sarah Bernhardt (1844-1923). Als böses Gerücht entpuppte sich in dem Zusammenhang erst kürzlich die Behauptung, durch die Gelatine gebe es inzwischen auch BSE im Lippenstift. Immerhin hätte dann der Satz "Deine Lippen machen mich völlig wahnsinnig" eine ganz neue Bedeutung.

Weitgehende Einigkeit unter Männern besteht heute darin, dass ein Lippenstift das ideale Geschenk für eine Frau ist. Schließlich bekommen sie ihn nach und nach wieder. Manchmal leider auch zu ganz und gar unpassenden Gelegenheiten. Die falsche Farbe auf dem Hemdkragen oder dem Männerhals? Auwei-auwei-auwei. Die häuslichen Dramen, Ohrfeigen und Scheidungen inklusive sind Legende. Ebenso wie jene Episode aus dem Leben eines Hamburger Don Juan, der beschwipst und lippenstiftverschmiert nach Hause kam und seine mit einem Besen bewaffnete Frau fragte: "Bist du am Saubermachen oder fliegst du noch weg?"