Die Vespa velutina bedroht vor allem Honigbienenvölker. Tourismus, Handel, Klimawandel verantwortlich für Eindringen fremder Arten in Europa.

Hamburg. Die Invasoren kamen unbemerkt ins Land, versteckt wohl in einer Ladung Bonsai-Keramik aus China. Es dauerte nicht lange, bis sie ihren Unterschlupf verließen und begannen, Tod und Verwüstung im Land zu verbreiten.

Es war im Herbst des Jahres 2004, als in Frankreich zum ersten Mal ortsfremde Hornissen auftauchten und einheimische Insekten angriffen, vor allem Honigbienen. Die Invasoren mit ihren messerscharfen Kauwerkzeugen, den Mandibeln, erwiesen sich als einzigartige Killermaschinen. Eine einzige Hornisse der Art Vespa velutina vermag pro Minute etliche Bienen buchstäblich zu schreddern; ein kleiner Schwarm der asiatischen Hornissen massakriert sich binnen weniger Stunden durch ein Nest von mehr als 30 000 Honigbienen - um dann deren pralle Larven ihrem eigenen Nachwuchs zum Fraß vorzuwerfen.

Der Biologe und Bienenexperte Thomas Seely von der Cornell-Universität im US-Bundesstaat New York behauptet: "Ich habe selber gesehen, wie eine einzige Vespa velutina ein Honigbienennest von 6000 Tieren im Alleingang vernichtet hat: Sie stellte sich in den Eingang und zerriss jedes Tier, das sich ihr näherte."

Nach seinen Forschungen verfügen asiatische Honigbienen, die schon länger mit dem tödlichen Feind leben müssen, über einen speziellen Verteidigungsmechanismus: Sie bilden blitzartig einen Ball aus Bienenleibern um den Eindringling; die Temperatur in diesem Haufen steigt auf fast 50 Grad - tödlich für Hornissen.

Doch unsere einheimischen Bienenvölker sind auf den Eindringling aus Asien entwicklungsgeschichtlich noch nicht gut eingestellt. Und Vespa velutina breitet sich im Südwesten Frankreichs mit ungeheurer Geschwindigkeit aus. Der französische Insektenforscher Jean Haxaire, der die Art in Frankreich zuerst beschrieb, zählte kürzlich auf der 60 Kilometer langen Strecke zwischen Marmande und Podensac allein 85 fußballgroße Nester. In ganz Aquitanien müssen es inzwischen Tausende sein. Haxaire befürchtet, dass das ökologische Gleichgewicht nachhaltig gestört werden könnte.

Die französischen Imker stellen sich auf eine Katastrophe ein. "Die Zukunft unseres gesamten Gewerbes steht auf dem Spiel", sagte ein Sprecher des Verbandes. Auch ihre britischen Kollegen rechnen mit dem Schlimmsten. Der Londoner "Daily Telegraph" widmete der Gefahr einen Seitenaufmacher. "Es gibt keinen Zweifel, dass sich diese Hornissen nach Norden ausbreiten und dass sie ihren Weg nach Großbritannien finden werden", sagt der Insektenkundler Stuart Hine vom Londoner National History Museum. Und in Deutschland werden sie allemal schneller sein.

Wenigstens ist Vespa velutina nicht aggressiv wie die berüchtigte afrikanisch-amerikanische "Killerbiene". Die Hornissen sind auch nicht viel giftiger als Bienen oder Wespen. Doch ihr größerer Stachel injiziert eine ungewöhnlich hohe Dosis des Neurotransmitters Acetylcholin, der einen sehr starken Schmerz erzeugt. Stiche von Vespa velutina fühlen sich nach Aussagen von Opfern an wie eine glühende Nadel, die ins Fleisch gesenkt wird.

Allerdings ist die alte Faustregel "Drei Hornissenstiche töten einen Menschen, sechs können sogar ein Pferd umbringen" purer Unsinn. Ein normaler Mensch müsste schon von Tausenden Hornissen gestochen werden, um in Lebensgefahr zu geraten. Es sei denn, er ist allergisch - dann kann ein einziger Stich schon tödlich sein.

Aber Grund für Panik bestehe für Menschen nicht, meint die Bienenexpertin Claire Villemant vom französischen Naturkundemuseum. "Hornissen fliehen vor Menschen, sie werden nicht um Sie herumfliegen, wenn Sie ein Picknick im Freien abhalten."

Doch für die europäische Natur stellt die Ankunft von Vespa velutina eher einen Grund zur Besorgnis dar. Die Hornisse gehört zu den sogenannten Bioinvasoren.

Darunter versteht man nicht einheimische Organismen, die in ein ihnen unbekanntes Ökosystem eindringen, sich dort explosionsartig vermehren und die einheimischen Organismen verdrängen - meist zum bleibenden Schaden der attackierten Ökosysteme.

Biologen betrachten Bioinvasoren als größte Bedrohung der Artenvielfalt nach der Zerstörung von Lebensräumen durch den Menschen. Und auch das Phänomen der Bioinvasoren ist weitgehend vom Menschen zu verantworten. Denn zum einen sorgt der hausgemachte Klimawandel mit der Erderwärmung dafür, dass sich Arten auf Regionen ausdehnen, in denen sie vorher nicht gedeihen konnten.

Zum anderen schleppt der umtriebige Mensch mit Handel und Tourismus, mit Fahrzeugen, Schiffen und Flugzeugen überall artfremde Organismen ein - mit zum Teil verheerenden Folgen für die Umwelt. Als Transportmittel sind vor allem die Radkästen von Flugzeugen und die Ballasttanks von Schiffen berüchtigt, mit denen zum Beispiel die europäische Zebramuschel Amerika erreichte und dort die Gewässer verseuchte oder die chinesische Wollhandkrabbe nach Europa kam, die sich nun unter anderem in der Themse tummelt.

Man schätzt, dass allein in Deutschland heute 1350 eingewanderte Tierarten und mehr als 600 nicht heimische Pflanzen leben. Dazu zählen nicht nur alte, willkommene Bekannte wie Kürbis, Kartoffel, Paprika, Sonnenblume und Tomate, sondern auch Schädlinge wie die Reblaus, der Kartoffelkäfer und die Kastanienminiermotte.

Mit Holztransporten und Obst kam bereits ein anderer gefährlicher Bienenschädling nach Europa - der aus Afrika stammende Beutenkäfer, der ebenfalls ganze Stöcke dezimieren kann. Eine erhebliche Gefahr für die heimische Fauna und Flora stellen auch die tropischen Aquarien oder Zierteiche vieler Fischliebhaber dar. So wucherte die aus dem Amazonas-Gebiet eingeschleppte, in Teichen beliebte Wasserhyazinthe Gewässer in Japan, Australien, Afrika und den USA binnen Kurzem komplett zu. Die Pflanzen entziehen dem Wasser den Sauerstoff - andere Organismen und Fische sterben. Ihre Bekämpfung verschlingt Millionen. In Benin wurde massenhaft der Rüsselkäfer gegen die Wasserhyazinthe eingesetzt. Mit gutem Erfolg - nur hofft man jetzt, dass der gefräßige Rüsselkäfer die übrige Flora nicht attackiert. Heute ist dieser Bioinvasor nur in der Antarktis noch nicht vertreten.

Einen besonders miesen Ruf unter den eingeschleppten Pflanzen, den Neophyten, hat der Riesen-Bärenklau, auch Herkulesstaude genannt. Dieses aus dem Kaukasus stammende Gewächs, das einst der russische Zar Alexander I. in Österreich einführte, indem er Fürst Metternich auf dem Wiener Kongress eine große Vase davon schenkte, ist der Schrecken jedes Gärtners.

Das Kraut kann mehr als dreieinhalb Meter hoch werden, vermehrt sich rasch und übersteht auch mehrmaliges Mähen. Es bildet sogenannte Furanocumarine aus, fotosensibilisierende Substanzen, die in Verbindung mit Sonnenlicht toxisch wirken. Sie rufen bei Berührungen schmerzhafte Verbrennungen hervor, die nur sehr schwer heilen. Vor allem für Kinder ist der Riesen-Bärenklau gefährlich, denn die Vergiftung kann auch Kreislaufschocks hervorrufen.

Zu den invasiven Säugetieren, den Neozoen, an die wir uns längst gewöhnt haben, zählen in Deutschland der einst von ukrainischen Pelzzüchtern ausgesetzte Marderhund und der aus Pelzfarmen entwichene amerikanische Waschbär. Eine Million Waschbären soll es schon in Deutschland geben.

Eine besondere Rolle spielt die aus der Barentssee eingeschleppte riesige Kamtschatka-Krabbe, die sich bereits in der Nordsee wohlfühlt und als teure Delikatesse abgefischt wird. Unter ihnen gibt es Giganten mit einer Beinspannweite von zwei Metern. Auch ihr Vormarsch in unser Ökosystem ist nicht mehr aufzuhalten.

Insgesamt sind in die Nordsee nach Angaben von Greenpeace bislang schon rund 80 neue Arten eingeschleppt worden. Und täglich schippern bis zu 4000 Organismenarten im Ballastwasser der Cargoschiffe zwischen den Kontinenten hin und her.

Waschbär und Vespa velutina sind im Angesicht des Klimawandels nur der harmlose Anfang. Auf längere Sicht müssen wir uns wohl auch auf tödliche Giftspinnen, Quallen und Schlangen als Mitbürger einstellen.