Schock in der Bundeshauptstadt: Der Orkan rüttelte kräftig an Deutschlands Vorzeige-Bahnhof.

Berlin. 43 Tote, Millionen Haushalte ohne Strom, zusammengebrochener Nah- und Fernverkehr - der Orkan "Kyrill" hat eine Spur der Verwüstung quer durch Europa gezogen. Allein in Deutschland kamen bei einem der schlimmsten Stürme der vergangenen 20 Jahre zwölf Menschen ums Leben. Erstmals in der Nachkriegszeit wurde der gesamte Bahnverkehr stillgelegt. Auch in den Nachbarländern entfaltete das Orkantief zerstörerische Kraft: Allein in Tschechien waren eine Million Haushalte ohne Strom.

In Deutschland entstand Sachschaden in Milliardenhöhe. Am Freitag entspannte sich die Lage allerdings weitgehend. Insgesamt zwölf Menschen kamen bei dem Orkan ums Leben - teilweise wurden sie von umstürzenden Bäumen in ihren Autos zerquetscht, von umherfliegenden Steinen getroffen oder losgerissenen Türen erschlagen - wie ein Kleinkind in München. Die Deutsche Bahn hatte noch am Donnerstagabend den kompletten Bahnverkehr eingestellt (wir berichteten). "So eine Situation haben wir in Deutschland noch nie gehabt", erklärte Bahnchef Hartmut Mehdorn. Erst am Freitagmittag lief der Nahverkehr wieder fast normal. Beim Fernverkehr gab es aber weiter zum Teil erhebliche Störungen.

Besonders peinlich: Der neue Berliner Hauptbahnhof, das Vorzeige-Projekt der Bahn, blieb 14 Stunden gesperrt. In der Nacht hatte sich ein zwei Tonnen schwerer Stahlträger aus der Fassade gelöst und war 40 Meter in die Tiefe gestürzt. Zwei weitere Träger wurden beschädigt und drohten ebenfalls abzustürzen. Die Polizei sperrte das als "Kathedrale des Reisens" gepriesene Bauwerk weiträumig ab.

Bei der Eröffnung im Vorjahr noch vollmundig als Meisterleistung gelobt, hielt der eine Milliarde Euro teure Glaspalast dem ersten großen Sturm nicht stand. Zwar wurde niemand verletzt, , aber "Kyrill" hat kräftig am Prestige des Vorzeigebaus gerüttelt. Die Bahn musste eingestehen, dass die Stahlträger der Fassade nicht befestigt waren, sondern nur auf kleinen Verstrebungen lagen - aus architektonischen Gründen. Eine heftige Windböe genügte, um einen der massiven Stahlträger aus 40 Metern in die Tiefe krachen zu lassen. Zwei weitere Träger lösten sich und verkeilten sich in der Fassade. Die Berliner Grünen-Fraktion kritisierte den Bahnchef: "Herrn Mehdorn geht Schnelligkeit vor Sorgfalt, Prestige vor Sicherheit." Die Orkanschäden seien ein Beleg für Pfusch und das Versagen Mehdorns und der Bauüberwachung. Der Hamburger Architekt Meinhard von Gerkan teilte mit, dass ihn und sein Büro keine Schuld an dem Unglück treffe.

Entweder handele es sich um einen Fehler der Statik, der Bauausführung oder der Bauüberwachung. Der Träger hatte keine tragende Funktion und damit sei die Standsicherheit des Bahnhofs auch nicht gefährdet. Es ist nicht das erste Mal. dass der Star-Architekt von Gerkan Ärger mit dem Berliner Bahnhof hat. Er klagte bereits vor Gericht gegen Mehdorn, der aus Kostengründen eine Gewölbedecke geändert und das Dach verkürzt hatte.

Weitere Nachrichten vom Killer-Orkan: Im Ärmelkanal geriet das Containerschiff "Napoli" mit 263 Hapag-Lloyd-Containern in Schieflage. Die Besatzung wurde mit Hubschraubern gerettet, das Schiff in einen Hafen geschleppt.

In den Niederlanden kamen im Sturm sechs Menschen ums Leben, auf dem Universitätsgelände von Utrecht stürzte ein Kran auf ein Gebäude. In Frankreich starben drei Menschen.

Die Spitzengeschwindigkeit erreichte der Orkan mit 225 km/h am Schweizer Aletschgletscher, in Deutschland wurden 202 km/h als höchste Marke auf dem Wendelstein gemessen.

In Österreich wütete "Kyrill" vor allem in den Regionen Salzburg, Ober- und Niederösterreich: Hunderte Häuser wurden abgedeckt, Bäume umgeknickt und Stromleitungen unterbrochen. Risiko-Forscher Peter Höppe von der Münchner Rück: "Mit ,Kyrill' hat sich die Prognose bestätigt, dass der außergewöhnlich warme Winter eine besonders hohe Sturmgefahr mit sich bringt. Der Orkan passt in das Muster des Klimawandels, der die Wetterextreme auch in Europa langfristig verschärft."