DRESDEN. Der ZDF-Moderator Johannes B. Kerner (41) soll als Zeuge im Prozess gegen Stephanies geständigen Entführer Mario M. (36) aussagen. Das hat gestern der Verteidiger des Angeklagten, Andreas Boine, beantragt. Das Landgericht Dresden will am 6. Dezember entscheiden, ob der Fernsehmann, der das Opfer interviewt hatte, geladen wird.

Unter Ausschluss der Öffentlichkeit sah das Gericht gestern mehrere Videos an, die Mario M. bei den Taten gedreht hatte. Stephanies Eltern verließen vorher den Saal, während der an Händen und Füßen gefesselte Angeklagte sich nur widerwillig, mit Verspätung und mit bleichem Gesicht ins Gericht bringen ließ. Er hatte die Vorführung der Videos unter anderem mit seiner Flucht auf das Gefängnisdach Anfang November verhindern wollen. Staatsanwalt und Nebenklage hatten das Abspielen gefordert - nur so könne das Gericht einen Eindruck davon bekommen, was Stephanie angetan worden sei.

Der Nebenklagevertreter Ulrich von Jeinsen sagte, die Bilder seien erschütternd gewesen, und er habe sich schlecht gefühlt. "Es ist unglaublich, was wir gesehen haben." Die gezeigten Grausamkeiten hätten alle Befürchtungen noch übertroffen. Dann verlas der Vorsitzende Richter Tom Maciejewski mehrere Briefe, die Stephanie heimlich in der Wohnung ihres Peinigers geschrieben hatte. In den an ihre Familie gerichteten Schreiben ist eine tiefe Verzweiflung zu spüren: Sie bittet darin Gott um Hilfe und nennt als größten Wunsch, ihre Familie noch einmal wiederzusehen.

"Ich wäre so gerne bei Euch, ich halte es nicht mehr aus." Von Tag zu Tag werde der Schmerz und die Sehnsucht nach zu Hause größer: "Was muss ich noch durchmachen?", schrieb sie. Ihr Vater Joachim R. (50) brach in Tränen aus. Die Mutter hatte das Gericht bereits wieder verlassen.

Mit dem Schreiben der Briefe hatte das Mädchen am 30. Tag ihrer Gefangenschaft begonnen, sechs Tage später, am 15. Februar, wurde Stephanie befreit.

Genau sieben Monate danach gab sie Kerner ein TV-Interview. Anwalt Andreas Boine behauptet, mit der Ausstrahlung sei die Menschenwürde seines Mandanten verletzt worden. Dies müsse strafmildernd berücksichtigt werden. In der Sendung hatte Kerner Stephanie auf den Fall Natascha Kampusch und ihren Entführer angesprochen, der sich das Leben nahm. Stephanie hatte daraufhin deutlich gemacht, dass sie erleichtert wäre, wenn ihr Peiniger ebenfalls nicht mehr leben würde. Kerner habe seine journalistische Sorgfaltspflicht verletzt, indem er die Stelle vor der Ausstrahlung nicht herausgeschnitten habe, sagte Boine.

Einen Einblick in die Psyche des einschlägig vorbestraften Mario M. gab seine frühere Bewährungshelferin (59). Sie sagte gestern: "Er lebt in einer sehr eigenen Welt." Während der Bewährung habe er als Busputzer gearbeitet und es mit einer Ich-AG für Wohnungsentrümpelungen versucht. Er sei sehr auf sich, seine Wertvorstellungen und Ziele fixiert, könne sich schwer in andere hineinversetzen und habe in relativer Abgeschlossenheit mit seinen Hunden gelebt, die ein eigenes Zimmer gehabt hätten. Am 14. Dezember soll das Urteil verkündet werden.