Acht Jahre in der Hand eines Entführers. Acht Jahre ohne Eltern, ohne Freunde, ohne Schule. Den Rest der Kindheit und die gesamte Jugend in einem Kellerverlies. Wie kann ein Kind so etwas überstehen? Der Wiesbadener Kriminalpsychologe Rudolf Egg sagt, die Gefangenschaft müsse nicht die ganze Zeit von Angst und Schrecken bestimmt gewesen sein. Nach gewisser Zeit könnte sich sogar eine Art "Normalität" für die Opfer einstellen. "Das heißt, sie gewöhnen sich irgendwie daran und richten ihr Leben dann irgendwie darauf ein", sagt Egg. Von anderen Entführungen wisse man, dass sich Kinder oft besser als Erwachsene in der neuen Situation einrichten können. "Natürlich gab es sehr bedrohliche Situationen und viele Ängste. Aber in acht Jahren war auch viel Allltag dabei." Opfer und Täter hätten in der Zeit eine enge emotionale Beziehung - auch "Stockholm-Syndrom" genannt - aufgebaut. "Dem Mädchen blieb gar nichts anderes übrig. Der Täter war ihre einzige Bezugsperson." Als Motiv des Entführers vermutet Egg Einsamkeit. "Sein Hauptmotiv dürfte wohl gewesen sein, jemanden zu haben, der bei ihm bleibt und der ihn nicht verlässt." Dennoch: "Natascha wollte sicherlich fliehen, ihre Eltern sehen, wollte mit Freunden spielen, in Freiheit ein normales Leben führen." Bei braven, gefügigen Kindern genüge es aber, wenn der Täter drohe und Anweisungen erteile. "Da braucht er nicht einmal Fesseln." Als sehr schwierig bezeichnet Egg die Situation nach der Flucht für Natascha und ihre Eltern, die alle drei psychologisch betreut werden. "Die Familie muss sich erst wieder kennenlernen. Die Eltern haben ihre Tochter aus einem ,Grab' geholt. Sie fühlen sich ähnlich wie Frauen nach dem Krieg, deren totgeglaubte Männer aus der Gefangenschaft kamen." Für Natascha sei der Selbstmord des Täters vermutlich ein Schock: "Sie kann ihm nicht mehr sagen, wie sie sich all die Jahre gefühlt hat. Sie kann nicht erleben, wie er bestraft wird."