Midlife-Crisis: Der Wirbel um Ottfried Fischers Affäre rückt dieses (Männer-)Phänomen wieder in die Öffentlichkeit. Klischee oder Krise? In der Mitte ihres Lebens stellen sich Männer oft die Frage: War das alles? Eine neue, meist jüngere Frau ist nur das äußere Zeichen. Nun gibt es bereits die Quarterlife-Crisis für Mittzwanziger.

Hamburg. Mein Gott, Ottfried! Ausgerechnet dem Bullen von Tölz, dem Pfarrer Braun muß das passieren: daß er sozusagen zur Großleinwand für die Projektion eines bejahrten, aber immer noch beliebten Klischees namens Midlife- Crisis wird.

Da wird einer trotz Fettleibigkeit (oder vielleicht auch deswegen) zum Publikumsliebling, dreht einen Film nach dem anderen, hat ein hübsches Haus, eine ansehnliche Frau (45) und zwei heranwachsende Töchter, führt seit 16 Jahren eine (mindestens ökonomisch) funktionierende Ehe - und macht im reifen Alter von 52 Jahren mit einer zwielichtigen Blondine (37) weithin sichtbar einen drauf. Siehste, sagen da nicht nur erwartungsbange Gattinnen: typischer Fall von Midlife- Crisis.

Ja, wirklich? Erstens kommen solche Eskapaden, Bordell-Besuch inklusive, in den besten (mindestens in den prominentesten) Familien vor - nur sind die selten so erzählfreudig wie dieser Fischer und sin Fruu beziehungsweise sein "Bikinimädchen". Zweitens sollte man, bevor man in solchen Fällen die berühmte Krise in der Lebensmitte diagnostiziert, wenigsten einigermaßen wissen, wovon man redet.

Gewiß, die Midlife-Crisis ist zum Klischee geworden - bis sie einen erwischt hat. Dann allerdings herrscht Heulen und Zähneklappern - oft besonders heftig bei denen, die vorher immer gesagt haben, das sei doch bloß die neueste Erfindung auflagengeiler Journalisten, die ein auf Psycho-und-Sex-Themen versessenes Publikum bedienen wollen. Skeptiker mögen sich in den einschlägigen Chatrooms des Internets vorführen lassen, wie Menschen zumute ist, die nicht begreifen können, warum ihr Leben auf einmal aus dem Leim geht oder warum der Partner ihnen abhanden gekommen ist - oder beides.

Das Klischee ist also ziemlich gegenwärtig, auch wenn die Entdeckung der Krise in der Lebensmitte, jedenfalls ihre Bezeichnung als Midlife-Crisis, schon 30 Jahre alt ist. Damals, 1974, erschien in Amerika ein Buch der Journalistin Gail Sheehy, "Passages", Untertitel: "Vorhersehbare Krisen des Erwachsenenalters", das 1977 auch in Deutschland unter dem Titel "In der Mitte des Lebens" ein Bestseller wurde. Monate vorher, im Juli 1976, war im "Spiegel" eine - von mir verfaßte - Titelgeschichte über die Krise in der Lebensmitte erschienen, "Gefährliche Jahre", die als Buch im Jahr darauf ebenfalls ein Bestseller wurde. Damals haben Sheehy und ich zu erklären versucht, was eine Midlife-Crisis wirklich ist.

Sie ist ja eben nicht identisch mit dem Ausflippen, das ihr manchmal, nicht immer, folgt. Man erkennt sie auch nicht unbedingt daran, daß ein seit 20 Jahren solide verheirateter, beruflich erfolgreicher Mann sich plötzlich einen Porsche oder eine Harley kauft, zehn Kilo abnimmt, Lederjacke statt Dreiteiler trägt und mit einer Frau durchbrennt, die ungefähr so alt ist wie seine älteste Tochter.

So spektakulär tritt die Krise selten auf. Eher kündigt sie sich an als ein vages Gefühl inneren Zusammenbruchs, das eigentlich nicht zu erklären und kaum zu erkennen ist als Schwellenangst vor dem Überschreiten der Grenze zwischen dem Ende der Jugendlichkeit und dem Beginn des Altwerdens. Auch der Anlaß ist schwer zu erkennen.

Vielleicht ist ein Freund an Krebs gestorben, ein anderer einfach umgekippt, Herzversagen, beide im gleichen, dem eigenen Alter. Man ist, aus welchem Anlaß auch immer, dem Tod begegnet - dem Tod als einer Tatsache des Lebens, des eigenen Lebens.

Das bleibt nicht ohne Folgen. In den Lebensläufen der Betroffenen ereignet sich eine Art Umkehr der Zeitrechnung. Lebenszeit kann nicht mehr nur gemessen werden als die Zeit von der Geburt bis zur Gegenwart, sondern sie will auch gemessen sein als die Zeit von der Gegenwart bis zum Ende, zum Tod. Der sprichwörtliche Rest des Lebens hat begonnen - und jetzt wissen wir es.

Auch das bleibt natürlich nicht folgenlos. Denn jetzt stellen sich Fragen, die einem jungen Aufsteiger selten, wenn überhaupt, in den Sinn kommen: Hast du dir dein Leben so vorgestellt? Hast du eigentlich den richtigen Beruf? Den richtigen Lebenspartner? Und wenn es überhaupt Antworten gibt auf solche Fragen, dann mögen sie den Betroffenen wie der Refrain eines Liedes von Wolf Biermann (auch aus den siebziger Jahren) in den Ohren klingen: "Das kann doch nicht alles gewesen sein . . . Das muß doch noch irgendwohin gehn, hingehn."

Man kann die Krise in der Lebensmitte eine Bilanzkrise nennen - sicher nicht die erste und auch die nicht die letzte im Lauf eines Lebens, aber vielleicht die schwierigste. Denn der Mensch in der Lebensmitte kann noch etwas ändern, den Kurs korrigieren. Er kann es mindestens versuchen. Er kann es aber auch lassen.

Das Ende ist immer offen. Der eine geht in der Midlife-Crisis aus dem Leim, der andere (ob er nun in den Dreißigern oder schon in den Fünfzigern ist) geht gestärkt daraus hervor. Es gibt auch Menschen, die empfinden gar keine Krise, orientieren sich aber trotzdem neu.

Natürlich hat sich die Krise in der Lebensmitte in den vergangenen 30 Jahren verändert. Vor allem die Lebensmitte selbst hat sich verändert. Die allgemeine Lebenserwartung ist gestiegen. Ein Mittvierziger steht heute tatsächlich in der Mitte des Lebens. Und vermutlich wird er nicht melancholisch über den Rest seiner Tage nachsinnen, sondern lieber darüber, wie er die gewonnenen Jahre bis zum Greisenalter für sich am besten ausfüllen kann. Zugenommen hat ja nicht nur die Länge des Lebens, sondern hat auch der Anspruch an dessen Qualität.

Die wichtigste Veränderung aber ist: Die Krise hat das bekommen, was uns Deutschen angeblich fehlt, nämlich Nachwuchs. Sie sucht nun nicht nur die Mittvierziger heim, sondern auch schon Mittzwanziger und Mittdreißiger. Die Menschen werden älter, die Krisen werden jünger. Die neu entdeckte Lebenskrise hat, jedenfalls in Amerika, auch schon einen Namen: Quarterlife- Crisis, Viertellebenskrise.

Deren Ursache ist vor allem, daß sich für viele Mittzwanziger das Leben völlig anders entwickelt, als sie erwartet haben. Nach beinahe 20 Jahren im relativ geschützten Raum der Schule oder noch mehr Jahren in einer akademischen Ausbildung erleben immer mehr Absolventen eine Art Kulturschock: Sie haben sich Mühe gegeben, sind gut ausgebildet - und werden nicht gebraucht. Viele entwickeln sich zu "seriellen Praktikanten", ein Teilzeitjob gilt schon als Glückstreffer. Und selbst wer - im günstigsten Fall - mehrere Möglichkeiten hat, weiß oft nicht, welche nun die richtige ist.

Nein, mit Ottfried Fischers Fehltritt hat das alles natürlich nichts zu tun. Aber vielleicht eröffnet es ja eine tröstliche Perspektive für die eingangs erwähnten (und nicht selber fremdgehenden) Gattinnen, die sich manchmal fragen, ob ihnen wohl Ähnliches widerfahren könne. Denn welcher Midlife-Crisler wird noch mit einer Mittzwanzigerin abhauen wollen, wenn er befürchten muß, daß die demnächst ihre Quarterlife-Crisis kriegt?