ATHEN. Deutschlands Grand-Prix-Macher müssen sich wie nahezu alle Jahre wieder gegen Plagiatsvorwürfe zur Wehr setzen: Der Wettbewerbstitel "No No Never" der Hamburger Countryband Texas Lightning soll vom dänischen Grand-Prix-Beitrag "Never Ever Let You Go" der Band Rollo & King aus dem Jahr 2001 "abgekupfert" sein. Der zuständige Norddeutsche Rundfunk (NDR) sowie die Plattenfirma wiesen dies gestern heftig zurück. Das Quintett um TV-Komiker Olli Dittrich ("Dittsche") wird am 20. Mai beim Eurovision Song Contest in Athen für Deutschland singen - auf Startplatz 8, wie das griechische Fernsehen ERT gestern mitteilte.

"Es gehört zur Geschichte des ,Grand Prix', daß Menschen auf den Erfolg anderer aufspringen wollen. Der NDR ist sehr gelassen", meinte NDR-Sprecher Martin Gartzke. "Ein Anlaß für eine Disqualifikation bestünde für uns erst dann, wenn der Vorwurf vor einem Gericht bewiesen würde - was wir uns nach Lage der Dinge nicht vorstellen können."

Tim Schurig von der Plattenfirma X-cell Records spricht im Auftrag der Band: "Es handelt sich bei ,No No Never' um eine komplett neue Komposition. Die einzige Übereinstimmung zu ,Never ever let you go' ist eine textliche, und sie besteht einzig und allein darin, daß in beiden Songs die Worte ,never ever' vorkommen. Ansonsten handelt es sich um komplett unterschiedliche Texte. Was die Komposition betrifft: Sowohl melodisch als auch harmonisch gibt es bei den Songs keinerlei Übereinstimmungen, ja nicht einmal Ähnlichkeiten. Hier von einem Plagiat zu sprechen ist somit komplett aus der Luft gegriffen und entbehrt jeglicher Grundlage."

Die Komponistin des Songs, Jane Comerford, hatte vor den Plagiatsanschuldigungen in einem Abendblatt-Interview erzählt, wie sie das Lied geschrieben hat. Danach hatte sie sechs Songs entworfen, der letzte sei es schließlich geworden. "Ich habe das Lied am Klavier komponiert." Zunächst habe sie das Stück als R'n'B-Titel angelegt. Erst später wurde daraus ein Country-Song.

Der Hamburger Musikwissenschaftler und Gutachter Dr. Marc Pendzich sagte dem Abendblatt: "Sobald ein Grand-Prix-Titel feststeht, kann man davon ausgehen, daß Leute auftauchen, die sagen, das haben wir schon gemacht. Hartnäckig hält sich auch das Gerücht, daß man prinzipiell vier Takte aus anderen Musikstücken verwenden dürfe. Es geht jedoch nicht um die Anzahl der Noten oder Takte, sondern darum, wie prägnant der entnommene Werkteil ist. Manchmal sind nur ganz wenige Noten erforderlich: Ein gutes Beispiel dafür ist das Hauptmotiv von Beethovens 5. Sinfonie, das zwar nur aus vier Noten besteht, aber eindeutig schutzfähig ist. Andererseits gibt es einen großen Pool oft genutzter Musikfloskeln, die nicht zu schützen sind und die jeder verwenden kann. Ganz allgemein geht es immer um die Frage, ob es sich um eine persönliche, eigenständige Schöpfung, eine eigene musikalische Idee handelt, die es vorher so noch nicht gegeben hat."

Professor Dr. Reinhard Flender, Direktor an der Hochschule für Musik und Theater in Hamburg, erklärt: "Von einem Plagiat kann man sprechen, wenn ein Autor bewußt eine bestehende erfolgreiche Melodie kopiert, dabei einige Details verändert und dann die Urheberschaft beansprucht."