Vinland-Karte sollte belegen, dass Wikinger vor Kolumbus in Amerika waren. Jetzt kam heraus: Sie ist noch keine 70 Jahre alt.

London. "Dank Gottes Willen entdeckten Bjarni und sein Begleiter Leif Eriksson nach langer Fahrt von der Insel Grönland gen Süden zu den fernsten übrigen Teilen des westlichen Weltmeeres, wobei sie das Eis durchschifften, ein neues Land, überaus fruchtbar und sogar mit Reben bestanden. Und sie nannten die Insel Vinland." So die Inschrift auf einer berühmten, mit 25 Millionen Euro veranschlagten Weltkarte, die nach Meinung vieler Experten beweist, dass nicht Christoph Kolumbus der erste europäische Entdecker der Neuen Welt war, sondern, fast 500 Jahre vorher, die normannischen Seefahrer Eriksson und Bjarni Herjolfsson. Denn die Vinland-Karte, angeblich um 1440 entstanden, zeigt außer Europa, Nordafrika, Asien und dem Fernen Osten auch die Küste um die heutige Hudson-Bucht und den Golf von St. Lawrence, eben jenes "Weinland". Jetzt haben zwei britische Wissenschaftler die Vinland-Karte nach eigenen Worten "definitiv als moderne Fälschung" entlarvt. Im US-Fachblatt Analytical Chemistry legen Professor Robin Clark und Katherine Brown vom Londoner University College dar: Die Tinte auf der Karte enthält synthetisches Anatas, ein seltenes Titanoxid, das erst seit 1923 hergestellt wird. Der Nachweis gelang ihnen durch eine spektroskopische Analyse der Tinte unter einem Raman-Mikroskop mit Laserstrahl. Brown: "Das Ergebnis zeigt die große Bedeutung moderner Techniken bei der Untersuchung von Gegenständen unseres Kulturerbes." Ihre Entdeckung stellt aber nicht die Leistung Leif Erikssons, Sohn Erichs des Roten, in Frage. Ausgrabungen belegen, dass Normannen in Neufundland siedelten, lange bevor Kolumbus 1492 auf der "Santa Maria" in See stach. Bis vor 45 Jahren hatte allerdings kein Mensch von einer Vinland-Karte gehört. Ein italienischer Buchhändler in Barcelona bot das wurmstichige Pergament 1957, angeblich in anonymem Auftrag, Antiquariaten in Genf, London und Paris an, stieß jedoch allenthalben auf Misstrauen. Schließlich fand er in Amerika einen Käufer; der Antiquar Laurence Witten erstand es für 3500 Dollar. Witten verkaufte die Karte an den verstorbenen Finanzier Paul Mellon, der sie der Yale-Universität (USA) schenkte. Bekannt gegeben wurde ihre Existenz erst am 11. Oktober 1965, ausgerechnet am Vorabend des Kolumbus-Tages. Die Nachricht war eine Sensation. In New York liefen Amerikaner italienischer Abstammung Sturm wegen der vermeintlichen Schmähung des Buchhändlers, der aus Genua stammte. Wer der Fälscher war, wird wohl für immer ein Rätsel bleiben. Brown und Clark räumen respektvoll ein, dass er ausnehmend "clever" zu Werke ging. In der Fachzeitschrift Radiocarbon datieren drei führende US-Wissenschaftler das verwendete Pergament auf das Jahr 1434. Eine Reihe amerikanischer Akademiker hält nach wie vor daran fest, dass die Vinland-Karte echt ist. So auch Dr. Garman Harbottle vom nationalen Forschungszentrum Brookhaven. Er nennt den Befund der Londoner Kollegen "wahnsinnig unwahrscheinlich" und meint: "Wenn das eine Fälschung ist, muss der Täter einer der geschicktesten Kriminellen gewesen sein, die je auf diesem Gebiet tätig waren."