New Orleans: Eine Stadt kämpft ums Überleben - selbst die Helfer sind häufig hilflos. Ganze Bezirke im Griff des Desasters. Es gibt keinen Strom, kein Telefon, kein Trinkwasser.

NEW ORLEANS. Das Wasser und das Elend scheinen um die Wette zu steigen. "Es bricht einem das Herz", sagt Gouverneurin Kathleen Blanco nach einem Besuch in der Südstaatenmetropole New Orleans. Weil die Stadt praktisch mit jeder Stunde immer weiter auf ein Desaster zusteuert, läßt Blanco die noch verbliebenen 100 000 Einwohner aus der New Orleans holen.

"Es gibt keine einzige gute Nachricht", faßt ein Reporter des Lokalsenders WDSU die Lage am zweiten Morgen nach dem verheerenden Hurrikan "Katrina" zusammen: Kein Strom, kein Licht und kein Trinkwasser, nachdem die Hauptwasserleitung in New Orleans gebrochen ist. "Trinkwasser ist wie Gold", sagt Rot-Kreuz-Sprecher Peter Teahean. Im Umkreis von 80 Kilometern gebe es keine offenen Geschäfte oder Tankstellen, berichtet ein Reporter des Fernsehsenders Fox News. Die Vorräte auch der Krankenhäuser reichen nur noch drei bis fünf Tage. Das steigende Wasser gefährdet jetzt auch dort die Notgeneratoren.

Das Gesundheitsministerium hat die Evakuierung von 2500 Patienten im gesamten Bezirk Orleans angeordnet - wo sie hingebracht werden sollen, weiß noch niemand. Allein in der Charity-Klinik liegen noch 300 Kranke. Diejenigen, deren Zustand besonders kritisch ist, sollen zuerst in Sicherheit gebracht werden, die anderen sollen Ende der Woche folgen. Bis dahin bemüht sich die Polizei um weitere Generatoren, denn die Rettungskräfte bringen immer mehr Verletzte. In einem Boot krümmt sich ein Mann vor Schmerzen. "Wo sollen wir ihn hinbringen?" fragt Oberpfleger Ray Campo hilflos.

Keine Zeit für die Toten

Ganze Stadtteile sind in den bis zu sechs Meter hohen Fluten untergegangen. Tausende verzweifelter Menschen haben nach den Worten von Bürgermeister Ray Nagin die zweite Nacht hintereinander auf ihren Dächern verbracht. Rote oder schwarze Markierungen an den Häusern bedeuten: Hier hat Hurrikan "Katrina" wieder ein Menschenleben gefordert. Rettungskräfte würden die Toten aber einfach bei Seite schieben. Überlebende haben Vorrang, erklärte der Nagin. "Um die Toten kümmern wir uns jetzt nicht", sagte er. Ein Satz, der Evelyn Turner wütend macht.

Ihr Lebensgefährte Xavier Bowie litt an Lungenkrebs in fortgeschrittenem Stadium und konnte nicht ohne weiteres transportiert werden. Die 54jährige fand niemanden, der sie beide aus der Stadt gebracht hätte, und entschloß sich, bei ihrem Freund zu bleiben, in der Hoffnung, daß "Katrina" sie verschonen würde.

"Ich habe Strom und Vorräte. Ich kann weitermachen", sagte sie sich immer wieder. Am Dienstag brach jedoch die Telefonverbindung zusammen, die Gegend stand meterhoch unter Wasser, und sie hatte nur noch eine der dringend benötigten Sauerstoffflaschen für Bowie übrig. Auf den Straßen suchte sie nach jemandem, der ihr hätte helfen können, und als sie zurückkam, war der Mann, mit dem sie 16 Jahre lang zusammengelebt hatte, tot.

Mit dem Wasser kamen Plünderer

Turner wickelte die Leiche in ein Leintuch und baute aus Holzlatten eine provisorische Bahre. Anschließend lief sie drei Kilometer zur nächsten Polizeistation - um zu hören, daß niemand die Leiche abholen könne. Mit Hilfe eines städtischen Angestellten und eines Trinkgelds von 20 Dollar konnte sie schließlich einen Lastwagenfahrer überreden, die Leiche ins Charity-Krankenhaus zu fahren. "Das ist doch lächerlich", sagt sie schluchzend.

Mit dem Wasser kamen auch die Plünderer nach New Orleans. Sie verließen die Geschäfte wie "Weihnachtsmänner" mit prall gefüllten Säcken oder sogar Einkaufswagen, heißt es beim Lokalsender WDSU.

Soldaten der Nationalgarde haben im historischen Touristenviertel French Quarter am Ufer des Mississippi Stellung bezogen, um die Hotels vor Plünderungen zu schützen. Die weltbekannte Bourbon Street, in der sich sonst Abend für Abend Tausende von Einheimischen und Touristen an greller Reklame, Restaurants und Bars mit dröhnender Musik vorbeischieben, ähnelt einem stillen Kanal in Venedig.