EXTREM-BRÄNDE

In Indien war es letzte Woche eine Öl-Plattform, in Toronto jetzt ein vollbesetzter Airbus: Infernos mit Treibstoff, Gasen, Chemikalien und höchster Explosionsgefahr. Nirgendwo werden solche Katastrophen derart realitätsnah simuliert wie in der internationalen Feuerwehr-Eliteschule in Rotterdam.

Thomas Olivier (Text)

Sabine Braun (Fotos)

Rotterdam

Thomas Verbeet staunt nicht schlecht: "Das ist die Hölle auf Erden!" Feuerbälle schießen in den Himmel. Ein riesiger schwarzer Rauchpilz wälzt sich in Richtung Meer. Über das Gelände gellen Kommandos: "Treibstofftank brennt!" - "Schaumangriff vor!" Es zischt, es knallt, es dampft. Es stinkt nach Rauch, Ruß und Öl.

Eine Raffinerie brennt. Auf der Rohrbrücke hat sich durch statische Aufladung Benzin bei Schweißarbeiten entzündet. Flammen züngeln an Tanks und Kesselwaggons. Die Hitze kocht den Stahl weich. Kessel und Tanks drohen zu zerbersten.

Ein derart riesiges Feuer wie hier hat Verbeet in der Praxis noch nie erlebt. Auf seiner Stirn unter dem schwarzen Helm bilden sich Schweißperlen. "Dieser Brand hat etwas Elementares." Wehe, wenn die Kessel in die Luft fliegen. "So ein Feuerball kann spielend seine fünfzig oder hundert Meter Durchmesser haben."

Verbeet ist 38 Jahre alt, Brandamtsrat und stellvertretender Chef der Berufsfeuerwehr Wesel am Niederrhein. Für zwei Tage ist er mit zehn Kollegen nach Rotterdam gekommen, zum vierten Mal schon. Die theoretische Ausbildung in Deutschland ist top. Aber für die Praxis ist RISC das Nonplusultra. "Wahnsinn! Das Höchste! Nur hier kannst du erleben, was Flammen wirklich bedeuten."

Das Übungsgelände liegt in der Nähe des Rotterdamer Hafens. Von einem zwölf Meter hohen Treibstofftank lodern Flammen in den Himmel. Gastanks dampfen im Löschwasser. Qualmende Straßen- und Eisenbahnwaggons, verkohlte Autos, glühende Tanklaster und Pumpenstationen - verbrannte Erde überall. Auf einer kokelnden Ölplattform raucht das Gerippe eines ausgeglühten Hubschraubers. Auch das dreistöckige Appartementhaus Middenweg 37 hat schwer gelitten. Schwarze Höhlen statt Fenster. Vor den Eingängen des Blocks liegen schon die Opfer für die nächste Übung bereit: verkohlte menschliche Dummys aus Holz. "Hier muß sich jeder überwinden", sagt Verbeet.

Die Löschtrupps legen sich mächtig ins Zeug, doch das Inferno ist noch längst nicht unter Kontrolle. Metallteile schleudern durch die Luft, schlagen Rohrleitungen leck. Benzin tritt aus, immer neue Brandherde lodern auf. Wenigstens den Rest der Produktionsanlage wollen Verbeets Männer retten, und das heißt: kühlen, kühlen, kühlen. Der Weseler Zugführer Christoph Hegering, 40, fordert massive Kräfte nach und teilt die Gruppen ein: "Kalte Wand machen! Drei Mann pro Schlauch!" Zwei Schläuche werfen Schaum, der Rest der Mannschaft kühlt die Tanks: 6000 Liter Wasser pro Minute zielen aus Wasserwerfer und Strahlrohren auf die kochenden Kessel. Kurze Zeit später hat sich ein großer Teil des Geländes in eine Winterlandschaft verwandelt. Die Explosionsgefahr ist gebannt. Tonnen von Schaum haben das Feuer erstickt.

"Super!", brüllt Ad Moest. Der holländische Instruktor mit dem grauen Stoppelhaarschnitt und dem ständigen Lächeln im wettergegerbten Gesicht ist ein harter Hund. Der Ausbilder verlangt seinen Schülern alles ab und liebt kurze, kantige Sätze: "Macht nie was auf eigene Faust! Haltet euch an euren Gruppenführer! Wenn ihr Mist baut, bringt ihr eure Kameraden in Gefahr!"

Was das bedeutet, mußten Brandamtsrat Verbeet und seine Männer schon am Morgen erleben. Während der straffen Theoriesitzung waren ihnen in Katastrophen-Filmen ganze Chemieanlagen um die Ohren geflogen. Feuerbälle schossen kilometerweit in den Himmel. Druckwellen zerfetzten Dutzende Feuerwehrkämpfer, die sich während der Rettungsarbeiten zu weit vorgewagt hatten. Mehrmals wiederholte Instruktor Ad Moest die härtesten Filmsequenzen des Reality-Films in Zeitlupe: "Seht ihr die weiße Wolke? Das ist Flüssiggas! Und die aufgerissenen Gasflaschen? Die sind scharf wie Guillotinen! Diese Jungens waren ahnungslos. Ich glaube, jetzt haben die ein Problem!"

Zigarettenpause. Die erschöpften Feuerwehrmänner hocken in der Sonne. Auch ein Zug der Berufsfeuerwehr Dortmund, Einheiten aus Holland, Frankreich, Belgien und der Schweiz. Sie haben sich von den lästigen schwarzen Helmen befreit, sie trinken Wasser, Kaffee, manche rauchen. Appetit hat kaum jemand. Schweiß und Ruß bedecken ihre abgekämpften Gesichter. Brandamtsrat Verbeet ist stolz auf seine Männer in den grauen Schutzanzügen: "Die lassen nichts anbrennen!" Sein Blick heftet sich an die schwer beladenen Containerschiffe, die in der Ferne langsam vorbeiziehen. "Jeder muß sich überwinden." Nur keine Blöße geben: "Man will ja auch gegenüber seinen Kollegen gut dastehen."

Ein Wald riesiger Hafenkräne perforiert den Horizont: 150 000 Schiffe legen jedes Jahr hier an. Nirgendwo werden mehr Güter umgeschlagen: 310 Millionen Tonnen - Früchte, Eisenerz, Kohle, vor allem Rohöl. Zahllose Industrie- und Fabrikanlagen der petrochemischen Industrie säumen die Hafenbecken.

Ideale Voraussetzungen für RISC. 1986 öffnete das privatwirtschaftliche Dienstleistungsunternehmen seine Pforten. Seitdem reißt der Strom der Löschtrupps nicht mehr ab: Bis zu hundert Feuermänner aus aller Welt quälen sich in der Maas-Ebene täglich durch die heißen Übungen - Brigaden aus Australien und Malaysia, aus Indien, Saudi-Arabien und Nigeria, aus fast allen europäischen Staaten und aus sämtlichen deutschen Bundesländern. "Hier kann auch Heiligabend gelöscht werden", scherzt Brandamtsrat Verbeet. Vorausgesetzt, das Kleingeld stimmt. RISC ist teuer und die öffentlichen Kassen sind leer: Zwischen 750 und 1500 Euro pro Feuerkämpfer verschlingt die heiße Spritztour. Immer häufiger hat es Ausbilder Ad Moest mit Idealisten zu tun, die aus eigener Tasche zuzahlen, weil die Gemeinde nicht alle Kosten erstatten kann. Denn auf ihre "Fire-Fighting-Event-Tour" wollen viele der Freiwilligen Feuerwehren nicht verzichten. "Die bezahlen sogar aus ihrer Kameradschaftskasse, um so etwas Einmaliges zu erleben", weiß Brandamtsrat Verbeet.

So praxisnah wie in Rotterdam können die knapp 1,4 Millionen deutschen Feuerwehrmänner und -frauen den Ernstfall zu Hause nicht proben. Um geltende Emissionsgesetze einzuhalten, müßten Übungshallen mit Rauchgasfiltern errichtet werden. Da hatten es die Wehren früher einfacher: Jeder Dorfkommandant bekam sein eigenes Übungsgelände, nicht selten einen ausgedienten Steinbruch, in dem die Wehrleute nach Lust und Laune zündeln durften. Rußfahnen stiegen kilometerweit in den Himmel und keiner störte sich daran. Zwar wird in einigen Brandhäusern die Bekämpfung von Innenbränden trainiert, aber lediglich mit Gasbrennern. Das wurmt Verbeet: "Man sagt nicht mehr, die Feuerwehr trainiert, man sagt, die Feuerwehr macht eine Riesensauerei!"

Auf einige auf dem RISC-Gelände wartet noch das gefürchtete "Flash-over"-Training. Rauchgase in abgesperrten Räumen lauern nur darauf, daß jemand die Tür öffnet und Sauerstoff zuführt. Dann kommt es zu einer gewaltigen Feuerwalze bei Temperaturen bis zu 1200 Grad Celsius. Wer den "Flash-over" unvorbereitet erlebt, sagt Ad Moest, hat nur noch wenige Sekunden zu leben. "Er wird gekocht." Oberhalb von 42 Grad gerinnen die Eiweiße im menschlichen Körper: "Dann hast du ein Problem."

Ein Trupp Holländer wagt sich in einen ausgedienten Schiffscontainer. Die Männer legen sich in dem stockdunklen Backofen bäuchlings auf den Boden, während im kleinen Brandraum nebenan mit Holz ein Feuer entfacht wird. Die Atemventile zischen und fauchen. Unter der Decke sammeln sich Rauchgase. Kaum hat der Instruktor die Tür geöffnet, bekommt der Container dicke Backen. Es knistert und blubbert, als ob eine Getränkedose aufgeblasen und wieder eingedrückt wird. Flammen züngeln über den Köpfen der Eingeschlossenen, schlagen nach draußen. Unter der Decke steigt die Hitze auf tausend Grad. Die Luft in den Atemschutzflaschen wird knapp. Dann endlich heißt es "Wasser marsch!" Erst nach mehreren Durchgängen ist das Feuer erstickt. Erschöpft stolpern die Feuerkämpfer ins Freie. Ihre Schutzanzüge dampfen. Sie kühlen ihre Gummistiefel mit Wasser. Verbeet kennt das Leiden im Container: "Du fühlst dich an den Schlund der Hölle versetzt."

Nicht viel besser ergeht es den arabischen Feuerkämpfern aus Tripolis: Freier Fall im Rettungsboot aus 25 Meter Höhe, Entern einer Rettungsinsel, Aussteigen aus einem im Wasser notgelandeten und gekenterten Hubschrauber - all das müssen die libyschen Brandspezialisten beherrschen. Sie üben auf einer künstlichen Öl-Plattform in einem Trainingspool. Regen- und Windmaschinen erzeugen künstliche Stürme, wenn gewünscht, in Orkanstärke und totaler Dunkelheit. "Wir sind hier kein Vergnügungspark!" grinst Ad Moest. Viele seiner Kollegen gehören zum ERT, dem Emergency Response Team von RISC. Die Spezialtruppe steht rund um die Uhr für weltweite Einsätze bei Tanker- und Raffineriebränden bereit. "Wir sind innerhalb von 24 Stunden an jedem Ort." Samt Löschchemikalien und Hochdruckpumpen. Ad Moest war nie dabei: "Da fahren nur Kollegen hin, die nicht seekrank werden."

Früher Nachmittag. Böen jagen Rauchfetzen über das Gelände. Verbeets Männer stemmen sich gegen den aufkommenden Wind, sie halten ihre Helme fest. In einem kleinen Container hockt der Pyromane vom Dienst, der den deutschen Feuerwehrleuten den letzten heißen Tanz bereiten will: Fuel-Operator Dennis van Diejen, 20. Von seinem kleinen Container aus füttert der blonde Holländer die Brandherde. An fast 500 Stellen kann bei RISC Feuer ausbrechen, in den verschiedensten Variationen. So schleicht sich keine Routine ein. Denn kein Brand gleicht dem anderen. Van Diejen hockt in seinem Steuerstand vor unzähligen Knöpfen und Hebeln - Rot für Benzin, Gelb für Flüssiggas, Grün für Gasdampf. Über Sprechfunk erhält er die Anweisungen des Instruktors, in welche Übungsszenarien der Sprit verteilt werden soll. Knapp 90 000 Liter Benzin fließen hier monatlich durch Leitungen, die das gesamte Gelände wie ein Spinnennetz durchziehen. "Nur umweltfreundlicheres Waschbenzin", versichert Verbeet.

Langsam legt van Diejen den Hebel. Ein dreistöckiges Chemiegebäude steht in Flammen. Von allen Seiten raucht und brennt es. Immer neue Hiobsbotschaften treffen ein: Eine Person wird vermißt, ein verletzter Feuerwehrmann schreit vom Dach um Hilfe. Flüssiggas strömt aus, Gasflaschen brennen. Die Verbindung zu Trupp II reißt ab. "Einsatzleiter, jetzt hast du ein Problem!" brüllt Ad Moest. Die Wasserwerfer arbeiten auf Hochtouren. Mit Entsetzen beobachtet Amtsrat Verbeet, wie ein Schlauch sich durch den Druck losreißt und wie eine wildgewordene Schlange durch die Luft wirbelt. "Aufpassen, Männer!" Alles geht in Deckung. Nach einer Stunde heißt es: "Feuer aus! Sammeln!" Zum Glück war alles nur ein Training.

Gewaltige Feuerwalzen bis zu 1200 Grad: Wen der "Flash-over" unvorbereitet trifft, der hat nur noch wenige Sekunden zu leben. Er wird gekocht.

"Macht nie was auf eigene Faust! Haltet euch an eure Gruppenführer. Wenn ihr Mist baut, bringt ihr eure Kameraden in Gefahr!"