Deutscher Segler von Welle über Bord gespült. Er trieb eine Nacht und einen Tag im nur 16 Grad kalten Wasser. Wie war das möglich?

Kopenhagen. Die Suchmannschaften hatten ihn schon aufgegeben. Doch der von seiner Yacht gespülte Segler Hans-Ulrich E. (52) aus Frankfurt an der Oder schwamm mit letzter Kraft weiter. Eine Nacht und einen Tag später zogen ihn die Retter schließlich doch noch aus der Nordsee - nach mehr als 24 Stunden.

Die Küstenwache hatte die Suche aber bereits 22 Stunden nach dem Unglück abgebrochen, denn alle statischen Untersuchungen hätten gezeigt, daß kein Mensch bei einer Wassertemperatur von nur 16 Grad so lange überleben kann. Doch die Statistik irrte. Johnny Mikkelsen, Wachhabender bei der Küstenwache: "Eigentlich hätte er nach 14 Stunden nicht mehr leben können. Wir werden die Parameter, nach denen wir die Überlebenschancen Schiffbrüchiger berechnen, noch einmal überprüfen müssen." Aber auch an der Darstellung der dramatischen Ereignisse gibt es Zweifel:

Hans-Ulrich E. war am Sonntag mit Bernd N. (49), einem Freund aus Stuttgart, auf dem Einmaster "Pinguin" bei Hanstholm an der dänischen Nordseeküste gesegelt. Um 19.30 Uhr wurde die See so rauh, daß er von einer Welle über Bord gespült wurde. Kurz darauf brach der Mast, und auch Bernd N. fiel ins Wasser. Es gelang ihm aber, an Land zu schwimmen. Doch dort war weit und breit kein Haus zu sehen. Bernd N. mußte etwa 15 Kilometer weit gehen, bis er in bewohntes Gebiet kam. So erreichte der Notruf die Küstenwache erst am Montag morgen um 6.49 Uhr. Seenotrettungskreuzer und ein Hubschrauber wurden alarmiert. Sie suchten den ganzen Tag über nach Hans-Ulrich E., gaben um 17.47 Uhr aber die Suche auf. Die Küstenwache meldete schon: "Ein 52jähriger Deutscher ist mit großer Wahrscheinlichkeit ertrunken." Um 20.45 Uhr fand man den Totgeglaubten dann per Zufall nur 200 Meter von der Küste entfernt. Er trug eine rote Schwimmweste. Hans-Ulrich E. wurde sofort in das Kreiskrankenhaus von Thisted gebracht. Dort stellte man fest, daß seine Körpertemperatur auf 34.7 Grad gefallen war. Jörgen Ripens von der Polizei in Thisted zum Hamburger Abendblatt: "Das Salzwasser hat ihm sehr zugesetzt, er hat Schwellungen im Mund und kann deswegen kaum reden. Aber ansonsten ist der Fall für uns erledigt. Es gibt für uns keinen Grund, an der Erklärung des Mannes zu zweifeln."

Die Küstenwache stellt sich trotzdem noch einige Fragen, die untersucht werden müssen: Wie konnte der Deutsche 25 Stunden im kalten Wasser überleben, und warum war er nicht einmal bewußtlos? Wie konnte es sein, daß man ihn genau an der Stelle fand, die die Küstenwache schon berechnet hatte, aber Hans-Ulrich E. dort erst elf Stunden später auftauchte? Wie kann es sein, daß der Schiffbrüchige nicht gefunden wurde, obwohl er eine rotleuchtende Weste trug und sich dabei genau in den Gewässern befand, in denen am intensivsten gesucht worden war?

Johnny Mikkelsen von der Küstenwache: "Überlebende berichten ja oft, daß sie Rettungsfahrzeuge sehen, selbst aber nicht gesehen wurden. Aber dann tragen sie meist keine roten Schwimmwesten." Die Küstenwache will deshalb alle offenen Fragen genauestens untersuchen und das Kentern der "Pinguin" und die anschließende Rettungsaktion unter die Lupe nehmen.