Michelin: Nicht nur der Chef des “Lucas Carton“ in Paris fühlt sich unter Druck gesetzt.

Paris. Drei Sterne. Bisher träumten die Spitzenköche davon - und arbeiteten für die bestmögliche Einstufung im Gastronomie-Führer Michelin. Doch jetzt wird die Diktatur der Sterne in Frage gestellt.

Der Pariser Spitzenkoch Alain Senderens, Chef des 3-Sterne-Restaurants "Lucas Carton" an der Kirche Madeleine, hat genug von der Jagd nach den Sternen und verzichtet auf sie. Eine Revolution in der Haute Cuisine. Denn Senderens ist nicht der erste Koch, der den Neubeginn wagt. Schon im April hatte Philippe Gärtner vom Restaurant "Aux armes de France" im elsässischen Ammerschwihr seine Sterne zurückgegeben und kocht jetzt regionale Küche. Jol Robuchon hatte sich 1996 von den Sternen verabschiedet und Bar-Restaurants mit günstigen Preisen und kreativen Speisen eröffnet. Und Alain Ducasse hat außer Luxusrestaurants auch einfachere Lokale, in denen er experimentiert.

Seit 28 Jahren wird der 65 Jahre alte Senderens vom Michelin mit drei Sternen ausgezeichnet. Wie ein Sportler, der genug vom Kampf hat, zieht sich Senderens jetzt zurück. In die Rente geht er dennoch nicht: "Ich will ein anderes Restaurant eröffnen mit nettem zwanglosen Essen, ohne viel Getue", sagt Senderens. In diesen Tagen schließt er das "Lucas Carton". Es soll mit neuem Dekor und vielleicht auch unter einem neuen Namen im September wieder eröffnen. "Ich bin 65 Jahre alt, ich will mich beim Kochen wieder amüsieren und etwas Neues kreieren", so Senderens, der in den 70er Jahren als einer der Vertreter der Nouvelle Cuisine bekannt wurde. Der Franzose gilt als Meister der Zusammenstellung von Speisen und Wein.

Bisher mußte man bei "Lucas Carton" um 300 Euro für das Essen zahlen. In Zukunft soll es ein Drittel sein. Die Küche wird weniger kompliziert und die Gäste sollen nicht mehr von einem Schwarm von Kellnern belagert werden. Senderens findet das einfach altmodisch: "Die Gesellschaft hat sich geändert und die Küche muß folgen." Für die Köche bedeutet die Jagd nach den Sternen Streß. Luxusküche ist Hochleistungssport. Viele Köche können mit den Kosten für edelste Zutaten, Dekoration und vor allem Personal nicht mehr mithalten. Unvergessen ist in der Gastronomie-Welt der Selbstmord von Spitzenkoch Bernard Loiseau aus der Bourgogne im Jahr 2003, der unter dem Streß zu sehr gelitten hatte. Senderens hat zwar keine Angst seine Sterne zu verlieren und auch keine finanziellen Probleme. "Ich wollte einfach nur meine Freiheit wieder." Er will Zutaten verwenden, die für 3-Sterne-Köche nicht edel genug sind: Sardinen zum Beispiel würde der Michelin nicht akzeptieren. Das wäre ein Skandal. Dabei ist die Gourmetbibel nicht ohne Fehl, spätestens seit der Blamage um den belgischen Starkoch Pierre Wynants. Auf Seite 382 des "Michelin Benelux 2005" wurde das Restaurant "Ostend Queen" für seine Spitzenküche gelobt. Schließlich hatte der Brüsseler Dreisternekoch Wynants seinen Namen dafür hergegeben. Dumm nur, daß das Lokal noch Baustelle war, als der Michelin schon in Druck ging. Als der Tester angeblich im "Ostend Queen" war, gab es dort noch nicht einmal Töpfe.