Golfstrom verlangsamt sich. Das könnte zu einem Temperaturabfall führen.

London. Das Szenario wird anschaulich in dem Film "The Day after Tomorrow" beschrieben. Der Golfstrom versiegt, und Europa versinkt unter einer meterdicken Schneedecke. So schlimm wird es in den nächsten Jahrzehnten sicherlich nicht kommen. Dennoch haben Wissenschaftler die ersten Zeichen einer Verlangsamung des Golfstromes entdeckt - der riesigen Meeresströmung, die Europas Heizung ist. Einer der "Motoren", der den Golfstrom in Gang hält, habe nur noch ein Viertel seiner ursprünglichen Kraft, berichtete Peter Wadhams, Professor für Meeresphysik an der Universität Cambridge, jetzt bei einem Treffen der European Geosciences Union in Wien.

Diese Schwächung der Meeresströmung, die vermutlich durch die Erderwärmung ausgelöst wurde, könnte in den nächsten Jahrzehnten zu einem durchschnittlichen Temperaturabfall von bis zu acht Grad in Nordwesteuropa führen. "Bis vor kurzem gab es riesige ,Kamine' im Grönländischen Meer, in denen kaltes, dichtes Wasser von der Oberfläche zum 3000 Meter tiefen Meeresboden sank. Warmes Wasser floß nach, und es entstand die Strömung. Doch die ,Kamine' sind so gut wie verschwunden", sagt Wadhams, der im U-Boot unter der arktischen Eiskappe Messungen vorgenommen hat. "Verlangsamt sich dieser Mechanismus, wird weniger Wärme nach Europa gelangen." Dies könnte dramatische Auswirkungen auf Nordeuropa haben, das auf dem gleichen Längengrad wie Sibirien liegt. Nur der warme Golfstrom wärmt unsere Breiten bislang um fünf bis acht Grad. Wadhams und seine Kollegen hatten zunächst das Schmelzen der arktischen Eiskappe untersucht und kamen zu dem Schluß, daß sie 2020, definitiv aber bis 2080 verschwunden sein wird. Das Eis der Polarkappe hat sich Wadhams Messungen zufolge in den vergangenen 20 Jahren um 46 Prozent verdünnt. Diese Ergebnisse veranlaßten den Forscher, das sogenannte Odden-Schelfeis, das jeden Winter ins Grönländische Meer hinauswachsen sollte und zum Sommer schmilzt, genauer unter die Lupe zu nehmen. Das Wachsen dieses Schelfs hat bisher das Sinken des kalten Wassers ausgelöst. Wenn das Seewasser friert, um das Schelf zu bilden, setzen die Eiskristalle ihr Salz in das umliegende Wasser frei. Dieses wird so schwerer als das Wasser darunter und löst den Sinkprozeß aus. Das Odden-Schelf bildet sich jedoch nicht mehr. Es formte sich zuletzt 1997.

"Früher entstanden unter dem Schelf jährlich neun bis zwölf Wassersäulen", so Wadhams, "Bei unserer letzten Reise waren es nur noch zwei - und diese waren so schwach, daß sie den Meeresboden nicht erreichten." Der genaue Effekt dieser Veränderungen ist schwer vorherzusagen, weil Strömungen und Wettersysteme Jahre brauchen, um zu reagieren, und weil es zwei weitere Stellen im Nordatlantik gibt, in denen Wasser sinkt und die Zirkulation aufrechterhält. Wadhams malt jedoch schwarz: "Eine der erschreckenden Sachen in dem Film ,The Day after Tomorrow' war, wie der Wasserkreislauf im Atlantik durcheinandergeriet, weil das Sinken von kaltem Wasser im Nordatlantik plötzlich aufhörte", sagt er. "Das Sinken hört tatsächlich auf, wenn auch viel langsamer als im Film - über Jahre, nicht in ein paar Tagen. Doch wenn es so weitergeht, wird es das Klima in Nordeuropa abkühlen."

Eine Möglichkeit ist, daß Europa zittern wird; die andere wäre, daß die Verlangsamung des Golfstroms Europa kühl hält, während die Erderwärmung den Rest der Welt aufheizt. Das hätte extremere Wetterlagen zur Folge als bisher.